Die Initiativen sehen vor, die Emissionen bis 2030 um 50-55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Der Green Deal zielt darauf ab, die europäische Wirtschaft mit den Bedürfnissen unseres Planeten in Einklang zu bringen. Er sieht einen Energiesektor vor, der hauptsächlich auf erneuerbaren Energien, dem raschen Ausstieg aus der Kohle, der Dekarbonisierung von Gas und der Konzentration auf Energieeffizienz basiert.

Im Rahmen dieses Green Deals hat die EU auch eine Taxonomie, ein Klassifizierungssystem, für ökologisch nachhaltiges wirtschaftliches Handeln eingeführt.

Allianz: Und genau da kommen Sie ins Spiel. Was ist das Ziel der Taxonomie?

Jörg Ladwein: Der Green Deal erfordert einen enormen Finanzierungsbedarf. Der Investitionsplan, der ihn unterstützt, sieht Investitionen in Höhe von 1 Billion Euro (1,2 Billionen Dollar) über zehn Jahre vor. Davon soll etwa die Hälfte aus dem europäischen Emissionshandelssystem und dem EU-Haushalt kommen. Der Rest ist auf die Mobilisierung privater Investitionen angewiesen.

Die Taxonomie trägt dazu bei, Kapital in relevante Projekte zu lenken, indem sie Investoren mehr Sicherheit gibt, dass ihre Investitionen nachhaltig sind, d. h. mit den EU-Umweltzielen übereinstimmen. Die Taxonomie zielt darauf ab, eine Reihe von Standardkriterien aufzustellen, die Investoren und Finanzunternehmen bei der Prüfung potenzieller Investitionen verwenden können. Die Vermögensverwalter verfügen zwar über Teams und Instrumente zur Messung der Umweltfreundlichkeit, aber das Fehlen eines gemeinsamen Kriterienkatalogs bedeutet, dass die Bewertungen subjektiv und in der Branche uneinheitlich sind, was wiederum die Anleger verwirrt.

Die Taxonomie geht auf dieses Problem ein. Es handelt sich nicht um eine verbindliche Liste von Wirtschaftsaktivitäten für Investoren, dennoch können Finanzunternehmen die Taxonomie nutzen, um glaubwürdige grüne Finanzprodukte zu entwickeln, die den Übergang in eine Netto-Null-Zukunft finanzieren helfen. Mit solch einem Wörterbuch, in dem wir nachschlagen können, ob eine Investition als grün bewertet werden kann, haben alle denselben Bezugspunkt.

Allianz: Und welche Rolle haben Sie dabei gespielt?

Jörg Ladwein: Um die Akzeptanz der Industrie für die Taxonomie-Verordnung und den europäischen Green Deal sicherzustellen, arbeitet die EU mit einer Vielzahl von Interessengruppen zusammen. Die Plattform für nachhaltige Finanzen ist eine Expertengruppe, die Experten für Nachhaltigkeit aus dem Unternehmenssektor, dem öffentlichen Sektor, der Industrie, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Finanzindustrie zusammenbringt, um eine nachhaltige Finanzpolitik zu entwickeln, insbesondere die EU-Taxonomie.

Zusammen mit @Julia Backmann von AllianzGI habe ich in der Untergruppe 3 gearbeitet. Hier wird es ein wenig komplex. Vier Untergruppen bereiteten verschiedene technische Aspekte im Zusammenhang mit der Taxonomie vor. Unsere Untergruppe beriet bei der Entwicklung der Taxonomie in Bezug auf wirtschaftliche Aktivitäten, die keine wesentlichen Auswirkungen auf die ökologische Nachhaltigkeit haben, und auf wirtschaftliche Aktivitäten, die die ökologische Nachhaltigkeit erheblich beeinträchtigen.

Die Empfehlungen wurden in den Bericht über eine erweiterte Taxonomie der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen aufgenommen. Dieser Bericht wurde Ende März veröffentlicht. Aus meiner Sicht ist es bemerkenswert, dass die Plattform ihr komplexes und anspruchsvolles Mandat in einem - aufgrund von COVID-19 - rein virtuellen Tagungsformat über eineinhalb Jahre hinweg erfüllt hat.

Ich bin stolz darauf, einen Beitrag geleistet zu haben, und möchte Julia und all den anderen Kollegen danken, die durch ihre hervorragende Unterstützung und Zusammenarbeit dazu beigetragen haben.

Allianz: War das eigentlich der umstrittene Bericht, der vorschlug, Investitionen in einige Gas- und Kernkraftwerke als grüne Investitionen zu bezeichnen?

Jörg Ladwein: Auf keinen Fall. Dieser Vorschlag kam von der Europäischen Kommission, aber die Plattform für nachhaltige Finanzen war insoweit involviert, dass wir eine Antwort veröffentlicht haben, die sich gegen genau diesen Vorschlag richtete. Unserer Meinung nach stellt der Vorschlag eine Abweichung von dem wissenschaftlich fundierten und evidenzbasierten Prinzip dar, das in der EU-Taxonomieverordnung verankert ist. Dieser Grundsatz sah vor, nur Kriterien zu verwenden, die auf verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Vielmehr ist er das Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den EU-Mitgliedstaaten.

Das Europäische Parlament hat kürzlich die Gelegenheit verpasst, den Vorschlag der Europäischen Kommission abzulehnen. Damit wird der sogenannte ergänzende delegierte Rechtsakt am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Dies ist zwar bedauerlich, aber wir müssen die politischen Realitäten in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten anerkennen.

Es ist auch zu beachten, dass alle Gas- oder Kernkraftwerke, die eine Angleichung an die EU-Taxonomie beantragen, zunächst nachweisen müssen, dass sie eine Reihe detaillierter Kriterien erfüllen, die in dem delegierten Rechtsakt enthalten sind. Darüber hinaus wird die Einbeziehung solcher Tätigkeiten in die an die Taxonomie angeglichenen Tätigkeiten transparent sein, da diese spezifischen Tätigkeiten von Industrieunternehmen und Finanzinstituten, die in sie investieren, separat offengelegt werden müssen.

Allianz: Was liefert Ihr Bericht?

Jörg Ladwein: Der Bericht ist über 100 Seiten lang, aber zusammenfassend lässt sich sagen, dass er einen Rahmen für die Identifizierung von Wirtschaftstätigkeiten mit unterschiedlichen Umweltleistungsniveaus bietet, die über die "tiefgrünen" Ziele des bestehenden Taxonomierahmens hinausgehen. Er definiert wirtschaftliche Aktivitäten, die die Nachhaltigkeit erheblich beeinträchtigen, und Aktivitäten, die die Nachhaltigkeit nicht erheblich beeinträchtigen. Sie geht auch auf die Bitte der EU ein, Ratschläge für die Finanzierung des Übergangs zu erteilen, insbesondere für Tätigkeiten, die sich von einem deutlich schädlichen Leistungsniveau entfernen.

Der vorgeschlagene erweiterte Taxonomierahmen kann als ein neues "Ampelsystem" angesehen werden. Ursprünglich war die Taxonomie binär mit nur grünen/nicht grünen Kategorien, aber der Bericht führt nun zwei neue Leistungskategorien ein. Rot steht für erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt, während gelb für mittlere Auswirkungen steht, wobei die Leistungen zwischen einem wesentlichen Beitrag und einer nicht signifikanten Schädigung liegen.

Darüber hinaus erkennt der Bericht eine neue Kategorie von Tätigkeiten an, nämlich solche mit geringen oder gar keinen Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei handelt es sich in der Regel um Dienstleistungsbranchen wie Finanzdienstleistungen, Rechtsdienstleistungen, Reisedienstleistungen, Gesundheitsdienstleistungen und Bildung. Zusammen machen sie etwa 30 % aller Wirtschaftsaktivitäten auf den Märkten aus.

Allianz: Welchen Nutzen hat die Anerkennung der neuen Kategorie von Aktivitäten?

Jörg Ladwein: Erstens wird dadurch sichergestellt, dass diese Aktivitäten nicht mit nicht-grünen Aktivitäten vermischt werden, die in Bezug auf die Umwelt weitaus schädlicher sind. Die Identifizierung und anschließende freiwillige Meldung solcher Tätigkeiten mit geringen Umweltauswirkungen würde es Unternehmen in diesen Branchen ermöglichen, uneingeschränkten Zugang zu grüner Finanzierung zu erhalten.

Durch die Identifizierung dieser Unternehmen und der Tätigkeiten, die immer schädlich sind und dringend Maßnahmen für den Ausstieg oder die Stilllegung erfordern, ergibt sich außerdem ein klareres Bild der verbleibenden Branchen und Tätigkeiten, die in den nächsten Jahren in die Taxonomie aufgenommen werden müssen. Die Absicht dahinter und hinter dem Ampelkonzept ist es, die Finanzierung des grünen Übergangs anzukurbeln und Unternehmen dabei zu unterstützen, die notwendigen Mittel freizusetzen.

Allianz: Und wie geht es weiter?

Jörg Ladwein: In der restlichen Zeit des Jahres wird die Europäische Kommission darüber beraten, wie sie die Vorschläge verwenden wird. Die Kommission kann den Bericht bei ihren Überlegungen zu neuen Verordnungen außer Acht lassen, abändern oder anpassen. Es ist möglich, dass die Kommission die Vorschläge für eine freiwillige Nutzung ihrer Hauptelemente unterstützt. Aber sie könnte sich auch scheuen, den komplexen Gesetzgebungsprozess in Gang zu setzen, der erforderlich ist, um während der verbleibenden Amtszeit der derzeitigen Kommission so genannte "Level 1"-Änderungen in ihrer Verordnung zu erlassen.

Allianz: Aber Sie müssen hoffen, dass das von Ihnen entwickelte Konzept im Wesentlichen übernommen wird?

Jörg Ladwein: Absolut, in den Bericht sind 18 Monate mühsame Arbeit und eine gründliche öffentliche Konsultation eingeflossen. Mehr als das, er ist sinnvoll. Der Bericht erweitert die Taxonomie auf die gesamte Wirtschaft und nicht nur auf den kleinen Teil der Sektoren, die derzeit als "nachhaltig" gelten. Insbesondere würde die erweiterte Umwelttaxonomie den Großteil der Finanzportfolios abdecken und für die Finanzinstitute an Relevanz und Wert gewinnen.

Allianz: Und ist damit Ihr Engagement beendet?

Jörg Ladwein: Nein, Julia und ich sind seit April in die Untergruppe 5 gewechselt, die die noch nicht abgeschlossene Aufgabe hat, die Kommission in wichtigen Umsetzungsfragen der Taxonomie und der nachhaltigen Finanzregulierung zu beraten.

Die derzeitige Plattform für nachhaltige Finanzen wird offiziell Ende September oder spätestens im Oktober auslaufen. Die Kommission bereitet derzeit die Einrichtung einer neuen "Plattform 2.0" mit einem neuen Mandat im Anschluss an die Beendigung des derzeitigen Mandats der Plattform vor. Es ist noch nicht entschieden, ob die Allianz oder ich daran beteiligt sein werden. Die Chancen dafür stehen gut, denn die direkte Einbindung in diese Gruppe wird für unsere Arbeit bei der Allianz und für die Beeinflussung von Themen, die einer Klärung bedürfen, sehr wertvoll sein.

Allianz: Vielen Dank für Ihre Zeit.

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