- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Trendwende in der Lebensversicherung: Die Kunden des deutschen Marktführers Allianz Leben bekommen 2023 zum ersten Mal seit 2008 höhere Zinsen gutgeschrieben als ein Jahr zuvor.

Die Gesamtverzinsung steigt für alle Produktlinien um 0,3 Prozentpunkte, wie die Allianz Deutschland AG am Montag mitteilte. Für die moderneren "Perspektive"-Policen, die keine lebenslangen Zinsgarantien mehr vorsehen, liegt sie dann bei 3,5 Prozent. Das Beispiel könnte Schule machen, glaubt Lebensversicherungs-Experte Reiner Will von der Ratingagentur Assekurata in Köln. "Die Allianz hat hier bewusst ein Zeichen für den Markt gesetzt", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Branchenweit rechnet er im Schnitt aber nur mit Erhöhungen um 0,1 bis 0,15 Prozentpunkte, "vielleicht sogar einen Schnaps mehr".

Die Allianz zieht damit die Konsequenzen aus der Zinswende, auch wenn sie der Trendumkehr nicht ganz traut. "Wir nehmen den Rückenwind von den steigenden Zinsen mit, müssen aber weiter mit starken Schwankungen rechnen", sagte Produkt- und Privatkunden-Vorstand Volker Priebe zu Reuters. Die Allianz Leben profitiere davon, dass ein großer Teil ihrer Kapitalanlagen inzwischen aus alternativen Anlagen wie Immobilien, Infrastruktur-Investments oder Private-Equity-Fonds stamme statt aus Staatsanleihen und Pfandbriefen. "Die Zeiten bleiben unsicher. Einige Experten erwarten für 2024 schon wieder deutlich sinkende Leitzinsen." Zuletzt hatte Allianz Leben die Gesamtverzinsung vor 15 Jahren erhöht, vor dem Höhepunkt der Finanzkrise. Damals stieg sie auf 5,4 von 5,3 Prozent.

Für klassische Lebens- und Renten-Policen, die lebenslange Zinsgarantien vorsehen, bietet Allianz Leben 2023 einschließlich des Schlussüberschusses und der Beteiligung an den Bewertungsreserven eine Gesamtverzinsung von 3,2 (2022: 2,9) Prozent. Bei anderen Lebensversicherern, die ihre Verzinsung für 2023 bereits deklariert haben, zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Axa hält die laufende Verzinsung bei 2,6 Prozent stabil und liegt damit etwa auf dem Niveau der Allianz Leben (2,6 Prozent für neuere, 2,4 Prozent für klassische Verträge). Die Versicherungskammer Bayern hat ihre Überschussbeteiligung gleich um 0,75 Prozentpunkte erhöht, hinkt mit 2,25 Prozent aber hinter der Konkurrenz her.

Die klassischen Policen machen bei der Allianz inzwischen weniger als die Hälfte des Bestandes von gut zwölf Millionen Policen aus, es dominieren "Perspektive" und - wie bei den meisten Anbietern - kapitalmarktnahe Produkte, die nur noch zum Teil auf Zinsgarantien basieren. An dem Trend werde sich trotz der steigenden Verzinsung nichts ändern, sagte Branchenexperte Will. Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Schritt der Allianz sei größer als der finanzielle Effekt für die Kunden. "Das wird kein Versicherter großartig in seinem Portfolio merken."

Zu spüren bekommen die Zinserhöhung ohnehin nur Kunden, die ihre Lebensversicherung seit 2007 abgeschlossen haben. Für alle anderen gelten noch höhere Garantiezinsen zwischen 2,75 und 4,00 Prozent. Vor einem Jahr war der Höchstrechnungszins - also der maximal erlaubte Garantiezins - auf 0,25 von 0,9 Prozent gesenkt worden. Dabei soll es nach den Vorstellungen der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) auch 2023 bleiben. "Die Zinssituation am Kapitalmarkt muss sich erst dauerhaft stabilisieren, bevor wir einen höheren Höchstrechnungszins empfehlen", erklärte DAV-Chef Herbert Schneidemann am Montag. Eine inverse Zinsstruktur, wie sie derzeit zu beobachten sei, deute darauf hin, die Zinsen zwar kurzfristig stiegen, nicht aber langfristig. Nach dem Rat der Aktuare (Versicherungsmathematiker) richtet sich in der Regel auch das Bundesfinanzministerium, das den Höchstrechnungszins festlegt.

(Bericht von Alexander Hübner; redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)