Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Air Liquide ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein großes Wasserstoffunternehmen heute aussieht. Trotzdem könnte es für die Franzosen schwierig werden, ihre Position zu halten, wenn Wasserstoff wie prognostiziert erst zu einem Schlüsselbrennstoff bei der weltweiten Dekarbonisierung der Wirtschaft geworden ist. Noch ist allerdings ausreichend Zeit, sich darauf vorzubereiten.

Air Liquide verkauft den ohne Treibhausgase verbrennenden Kraftstoff vor allem an Ölraffinerien und Düngemittelhersteller, das damit erzielte Umsatzvolumen entspricht mit etwa 2 Milliarden Euro etwa einem Zehntel der Konzerneinnahmen im Jahr 2021. Neben Linde sowie Air Products & Chemicals gehört das an der Pariser Börse notierte Unternehmen zu den drei globalen Playern im Geschäft mit der Herstellung und dem Transport von Industriegasen.

Mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von rund drei - bescheiden für eine Aktie mit Wasserstoffbezug - bietet das Papier von Air Liquide Anlegern Chancen mit Blick auf ein Zukunftsgeschäft in Kombination mit einem bewährten Geschäftsmodell, das sich auch in den beiden zurückliegenden Jahren als profitabel erwies.


   Wasserstoff wird Pfeiler in der neuen Air-Liquide-Strategie 

Wasserstoff ist für alle drei großen Player ein wichtiger Zukunftsmarkt und ein zentraler Pfeiler des neuen Strategieplans von Air Liquide, der am Dienstag vorgestellt wurde. Danach soll die Hälfte der industriellen Investitionen bis 2025 in die Energiewende fließen. Bis 2035 will man den Umsatz mit Wasserstoff verdreifachen. Das mag auf den ersten Blick sehr langsam erscheinen, aber noch ist der Wasserstoff-Markt in einem sehr frühen Stadium.

Die Analysten von Bernstein schätzen, dass der weltweite Markt für das Gas mit der hohen Energiedichte 2050 ein Volumen von 2,5 Billionen Dollar erreichen könnte. Dies setzt voraus, dass Wasserstoff wirtschaftlich und auf klimafreundliche Weise hergestellt werden kann: Dann würde es zu einer emissionsarmen Alternative für Branchen wie Zement, Stahl, Fluggesellschaften und Langstreckenverkehre, die ansonsten nur schwer CO2-neutral werden können.

Damit dies möglich wird, müssen sowohl Angebot als auch Nachfrage und eine Infrastruktur aufgebaut werden. Darüber hinaus wäre die Wasserstofferzeugung noch zu dekarbonisieren, denn derzeit wird die Elektrolyse hauptsächlich mit Hilfe von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Gas betrieben. Die Abnehmer müssen Maschinen, Fahrzeuge und Prozesse für den Betrieb mit Wasserstoff umrüsten oder ersetzen. Auch die Infrastruktur für den Transport benötigt ein Upgrade, damit sie mit den kleineren Molekülen dieses flüchtigen Gases zurechtkommt.

Air Liquide setzt nachvollziehbar auf bestehende Kundenbeziehungen, bisherige Anlagen und auch Fachwissen. Für die Wasserstoffproduktion werden deshalb nicht nur Elektrolyseure gebaut, die Wasser mit Hilfe von erneuerbaren Energien in so genannten grünen Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Vielmehr wird Air Liquide die Emissionen aus dem derzeitigen gasbetriebenen Verfahren abscheiden und speichern, dabei entsteht der weniger umweltfreundliche "blaue" Wasserstoff.


   Konzern setzt auf erwartbare Projekte 

Die favorisierten Projekte sind auch keine Mondlandungen: So sollen beispielsweise neue Anlagen an industriellen Knotenpunkten errichtet werden, die weniger Verkehrsinfrastruktur benötigen und über viele potenzielle Kunden verfügen.

Gleichwohl besteht ein erhebliches Risiko, insbesondere angesichts der vielen kleinen Akteure, die an neuen Technologien arbeiten. Air Liquide hofft, durch die Leitung des Hydrogen Council, einer Gruppe zur Koordinierung der Entwicklung der Branche, und in Kooperation mit anderen Akteuren wie dem 1 Milliarde Euro schweren Infrastrukturfonds Hy24 in der Entwicklung mithalten zu können.

Air Liquide rechnet damit, dass schon 2025 Busse und kleinere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff angetrieben werden und bis 2030 große Lkw, Züge und Pkw hinzukommen. Bei Schiffen und Flugzeugen dürfte es noch länger dauern, bis sie als Verbraucher in den Markt eintreten. Der Wasserstoff-Markt wird also noch über Jahre politische Unterstützung brauchen, dürfte sie aber wohl auch bekommen. Die jüngsten Energieschocks haben die Entschlossenheit der europäischen und asiatischen Regierungen auf die Probe gestellt, und sie haben sich für Wasserstoff stark gemacht.

Der Markt steht noch ganz am Anfang. Das erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auf unerwartete Weise entwickelt, gibt aber auch Unternehmen wie Air Liquide Zeit, sich entsprechend anzupassen.

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March 23, 2022 11:09 ET (15:09 GMT)