Frankfurt/Dublin (Reuters) - Die Lufthansa ergreift die Chance eines Ausbaus ihres wichtigen Italien-Geschäfts.

Das Unternehmen strebe eine Beteiligung an der Nationalfluglinie ITA Airways an, teilte die Lufthansa am Mittwoch mit. Die Airline-Gruppe will ähnlich wie bei der Übernahme von Brussels Airlines 2008 zunächst eine Minderheit erwerben und eine Option zum Kauf der verbleibenden Anteile zu einem späteren Zeitpunkt. Zur Höhe des Anteils und dem gebotenen Kaufpreis äußerte sich der MDax-Konzern nicht. Insidern zufolge strebt die Lufthansa in einem ersten Schritt einen Anteil von 40 Prozent an der Alitalia-Nachfolgerin für 200 bis 300 Millionen Euro an.

Bei einer Einigung, die auch von der EU-Wettbewerbsbehörde genehmigt werden müsste, könnte die Lufthansa ein lange verfolgtes Ziel erreichen. Nach den USA sei Italien mit seiner starken exportorientierten Wirtschaft und als beliebte Urlaubsregion ihr wichtigster internationaler Markt, erklärte die Lufthansa. Schon seit 2007 unternahm der Konzern mehrere Vorstöße, Alitalia in ihre Airline-Gruppe einzureihen, der neben Eurowings die belgische Brussels Airlines, die österreichische Austrian Airlines und die Schweizer Fluglinie Swiss angehören. Doch die lange Verlustgeschichte von Alitalia, deren Schicksal als Aushängeschild des Landes und traditionelle Beförderin des Papstes auf Reisen eine hochpolitische Angelegenheit war, schreckte ab. ITA ist im Vergleich zu Alitalia auf eine Flotte von rund 70 Flugzeugen stark geschrumpft und nahm zum Neustart 2021 nur rund ein Viertel der Beschäftigten mit an Bord.

Analysten sehen die mögliche Übernahme skeptisch, da ITA es im Konkurrenzkampf mit den wachsenden Billigfliegern Ryanair und Wizz im Europa-Geschäft schwer hat. Air France und Etihad vom arabischen Golf hätten mit Beteiligungen an Alitalia Geld verloren, erklärte Alex Irving von Bernstein Research. "Italien ist ein wichtiger, attraktiver Markt - doch der erfolgreiche Umbau der ITA zu einer nachhaltig profitablen Airline ist noch lange nicht gesichert", erklärte er. Lufthansa-Aktien legten dennoch um fast fünf Prozent zu.

AUCH TAP EIN ÜBERNAHMEKANDIDAT

Die Verhandlungen mit der italienischen Regierung sollen in einigen Wochen abgeschlossen werden. Das Finanzministerium wolle rasch eine Absichtserklärung unterschreiben, gefolgt von einem Beschluss des staatlichen Eigners einer Kapitalerhöhung, hieß es von mit dem Vorgang vertrauten Personen. Die Lufthansa erklärte, nach Unterzeichnung der Absichtserklärung müsse es weitere Verhandlungen über die Ausgestaltung einer Beteiligung, die kommerzielle und operative Einbindung der ITA in die Lufthansa Airline Group und sich daraus ergebenden Synergien geben. Für ITA ist die Einbindung in einen Konzern nach Einschätzung von Analysten überlebenswichtig. Als Teil eines Netzwerks könnte sie ihr Langstreckengeschäft ausbauen. Ihr Fokus auf Afrika und Südamerika würde das Programm der Lufthansa ergänzen.

Die Lufthansa hatte bereits vor rund einem Jahr mit der Schweizer Reederei MSC die Übernahme einer Mehrheit von ITA Airways vorgeschlagen, war während des im Wahlkampf umstrittenen Privatisierungsprozesses zwischenzeitlich aber aus dem Rennen. Kontroversen gab es vor allem um den Einfluss des Staates, der Alitalia mit zehn Milliarden Euro in anderthalb Jahrzehnten am Leben hielt und schon eine Milliarde Euro in ITA pumpte. Ein von der Regierung in Rom angestrebter Verkauf einer ITA-Minderheit an den US-Finanzinvestor Certares, der mit Air France und der US-Airline Delta zusammenarbeitete, zerschlug sich im Herbst. Die Verhandlungen mit der Lufthansa kamen wieder in Gang, MSC stieg aus. Air France erklärte am Mittwoch, keinen Anteil an ITA erwerben zu wollen, pochte aber auf ein Fortsetzen der Zusammenarbeit innerhalb des Airline-Verbundes Skyteam.

Womöglich wird ein Andocken von ITA bei Lufthansa der erste einer Reihe von Übernahmen in der europäischen Luftfahrt, die mit vielen Konkurrenten viel stärker fragmentiert ist als der US-Markt. Nach der existenziell bedrohlichen Corona-Krise hat eine starke Erholung des Luftverkehrs eingesetzt, so dass die Airlines Finanzkraft aufbauen können. "Wenn man Airline-Manager trifft, wird viel über eine Konsolidierung in Europa diskutiert", sagte Ruxandra Haradau-Döser, Analystin von Kepler Cheuvreux. Die portugiesische Staatsairline TAP ist ein heißer Kandidat, da die Regierung eine Privatisierung anstrebt. Neben Lufthansa könnten auch Air France-KLM und der britisch-spanische Konzern IAG ein Auge auf sie werfen. "Wir fokussieren uns klar auf ITA", sagte ein Lufthansa-Sprecher. "Gleichzeitig beobachten wir jedoch genau die Konsolidierung auf dem europäischen Airline-Markt."

(Weiterer Reporter: Angelo Amante, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Ilona Wissenbach und Joanna Plucinska