Der neue Vorstandschef Herbert Diess kündigte am Donnerstag vor den Aktionären in Berlin an, Recht und Gesetz in dem Großkonzern, der seit fast drei Jahren mit den Folgen des Dieselskandals ringt, zu stärken. "Volkswagen muss in diesem Sinne noch ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger werden", betonte Diess, der Mitte April das Ruder beim weltgrößten Autobauer übernommen hatte. Investoren begrüßten den Plan, zeigten sich angesichts der Machtverhältnisse bei Volkswagen mit den Familien Porsche und Piech als größten Eignern aber skeptisch, ob der Wandel rasch gelingen könne.

Diess betonte, seiner Meinung nach sei dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg nur mit einer gesunden Unternehmenskultur möglich. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigten, dass es hier Handlungsbedarf gebe. Der frühere BMW-Manager forderte eine Kultur, in der man aus Fehlern lernen könne, in der aber Fehlverhalten kompromisslos geahndet werde. Dazu soll das System der internen Hinweisgeber ("Whistleblower") ausgebaut werden, mit dem Mitarbeiter auf Missstände hinweisen können, ohne Folgen für ihre Karriere befürchten zu müssen.

Diess hob hervor, dass der von den US-Behörden als Konsequenz aus dem Dieselskandal eingesetzte Aufpasser Larry Thompson gefordert habe, Compliance und Integrität müssten bei Volkswagen dieselbe Bedeutung bekommen wie etwa Fahrzeugentwicklung, Produktion und Vertrieb. "Ich teile diese Ansicht uneingeschränkt." Damit bekäme die Einhaltung von Regeln die gleiche Bedeutung wie etwa die Gewinnerzielung oder die Absatzsteigerung.

INVESTOREN GEHT ES NICHT SCHNELL GENUG

Großinvestoren und Kleinaktionäre wünschen sich bei dem Thema mehr Tempo. Es gebe keine greifbaren Fortschritte, "die uns Investoren glaubwürdig zeigen, dass der Wandel der Unternehmenskultur effektiv vorangetrieben wird", sagte Michael Viehs vom mächtigen Aktionärsberater Hermes, auf den zahlreiche große Pensionskassen und andere institutionelle Investoren hören. Er forderte eine unabhängige Prüfung von Volkswagen, um zu klären, welche Rolle die bisherige Unternehmenskultur beim Dieselskandal und anderen Missständen wie den umstrittenen Tierversuchen gespielt habe.

Wie Viehs kritisierten auch andere Aktionärsvertreter, dass Volkswagen mit der geplanten Wiederwahl von Wolfgang Porsche und der Nachwahl von Marianne Heiß in den Aufsichtsrat die Chance einer Erneuerung des Kontrollgremiums vertue. Porsche ist Sprecher der Mehrheitseigner. Die Familien Porsche und Piech halten über die Porsche SE die Mehrheit an VW. Wolfgang Porsche ist Aufsichtsratsvorsitzender der Dachgesellschaft. Auch der Österreicherin Heiß, die bisher beim Werbekonzern BBDO arbeitete, hielten Aktionärssprecher eine zu große Nähe zum Unternehmen vor.

Auch der Corporate-Governance-Experte Christian Strenger rechnet nicht mit schnellen Fortschritten bei der Erneuerung. Wer die für den VW-Konzern unverändert geltenden Herrschafts-Strukturen der Familien und des Landes Niedersachsen kenne, müsse an einem durchgreifenden Wandel intensiv zweifeln, klagte Strenger, ehemals Chef der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS und Gründungsmitglied der Corporate-Governance-Kommission. Zusammen kommen die Porsche SE, das Land Niedersachsen und das Emirat Katar auf knapp 90 Prozent der Stimmrechte. "Statt eines unabhängig besetzten Kontrollgremiums, setzt sich der Aufsichtsrat immer noch aus den Vertretern der Großaktionäre – mit dem ehemaligen Finanzvorstand an der Spitze – zusammen", klagte Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS. Mehrere Aktionäre bemängelten auch, Volkswagen treibe die Aufklärung des Dieselskandals nicht energisch genug voran.

Die Stammaktionäre entlasteten für das vergangene Geschäftsjahr bei einer Präsenz von 3,18 Prozent die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats.

RANDBEREICHE AUSGLIEDERN?

Im Kerngeschäft läuft es zwar rund. So stand 2017 ein Nettogewinn von 11,6 Milliarden Euro zu Buche und die Aktionäre dürfen sich auf eine höhere Dividende freuen. Aber Diess will den Wolfsburger Konzern wendiger machen und die zwölf Marken in den Segmenten Massenmarkt, Premium und Luxus bündeln. Dadurch sollen Kräfte mobilisiert werden, um den Schwenk in die Elektromobilität, selbstfahrende Autos und neue Mobilitätssysteme zu finanzieren.

Volkswagen denkt in diesem Zusammenhang auch über die Ausgliederung von Randbereichen nach. Für "Nicht-Kerngeschäfte" wie Ducati (Motorräder), Renk (Getriebe) und MAN Diesel & Turbo (Schiffsdiesel) würden "belastbare Zukunftsperspektiven" gesucht, sagte Diess. Diese Überlegungen könnten zu einer Perspektive für diese Bereiche im Konzern führen. "Aber auch Ausgliederungen sind denkbar." Der Konzernchef deutete damit an, dass auch ein Verkauf oder ein Börsengang dieser Bereiche denkbar ist. Konkrete Pläne dafür gibt es aber offenbar nicht.