VENLO/HILDEN (dpa-AFX) - Es sollte einfach nicht sein: Nach der geplatzten Übernahme des deutschen Gendiagnostik-Unternehmens Qiagen durch den US-Laborausrüster Thermo Fisher Scientific steht die MDax-Gesellschaft wieder allein da. Die Aussichten des Anbieters von Corona-Tests sind in der aktuellen Pandemie so gut wie lange nicht mehr. Doch ob das reicht? Zur Lage des Unternehmens, was die Analysten sagen und was die Aktie macht.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Die Übernahme des kleinen David Qiagen durch den Goliath Thermo Fisher erschien einigen womöglich als die rettende Lösung. Nach einigen Umbauten samt einem Stellenabbau in den vergangenen Jahren steckte das MDax-Unternehmen Ende 2019 erneut in einer Problemphase. Ausgerechnet bei der Genanalyse-Technologie NGS, einem Stützpfeiler der Konzernstrategie, lief es nicht rund. Ein wichtiges Joint Venture in China scheiterte, zwei Mal kassierte das Unternehmen seine Prognosen und der Aktienkurs sackte ab.

Die gesunkene Börsenbewertung des Anbieters von Diagnostiktests und Laborgeräten lockte offenbar auch Thermo Fisher. Im März 2020 bot der US-amerikanische Laborausrüster umgerechnet rund zehn Milliarden Euro für Qiagen. Vor allem der inzwischen abgelöste Qiagen-Aufsichtsratschef Hakan Björklund legte sich für den Verkauf in die USA mächtig ins Zeug. Auch der Vorstand um den neuen Qiagen-Chef Thierry Bernard schlug ein.

Widerstand regte sich von anderer Seite. Beobachter stießen sich vor allem am Übernahmepreis. Vom Verscherbeln war die Rede und von der Gefahr für Arbeitsplätze im Unternehmen. Dass ausgerechnet Qiagen in der Corona-Krise fast zeitgleich zu einem gefragten Anbieter von Tests auf das Virus aufstieg, setzte die Amerikaner anschließend unter Druck: Wohl nicht zuletzt auf Betreiben gewichtiger Qiagen-Aktionäre erhöhte der US-Konzern Mitte Juli sein Angebot von zuvor 39 auf 43 Euro je Aktie. Zudem verlängerte er die Annahmefrist und setzte die Mindestannahmeschwelle herab.

Dennoch setzten sich die Zweifler und Kritiker des Deals durch. Bei der Auszählung der angedienten Aktien erreichte Thermo Fisher nicht einmal ansatzweise die Mindestannahmeschwelle. Der Hedgefonds Davidson Kempner war zuvor in offene Opposition zu den Amerikanern gegangen. Der Investor hatte als Abwehrmaßnahme kurz vor Ablauf der Annahmefrist seinen Anteil an Qiagen aufgestockt. Davidson Kempner pochte dabei auf einen Mehrwert, den Qiagen als eigenständiges Unternehmen biete - ob er recht behält, muss sich zeigen.

Unstrittig ist: Qiagen zeigt sich in der Pandemie derzeit in so guter Verfassung wie lange nicht. Das Unternehmen musste einen Sieben-Tage-Betrieb einführen, um die immens gestiegene Nachfrage nach seinen Corona-Testkits zu befriedigen. Zudem stellte die Firma mit operativem Sitz im nordrhein-westfälischen Hilden und Holding im niederländischen Venlo zusätzliche Mitarbeiter ein. Im zweiten Quartal hatte sich der Gewinn dank der starken Nachfrage nach den Corona-Tests verdoppelt.

Der gescheiterte Deal hat inzwischen auch personelle Konsequenzen im Aufsichtsrat. Dessen Ex-Chef Björklund wurde durch den früheren Post-Finanzchef Larry Rosen abgelöst. Der ursprünglich als Übergangslösung, im Frühjahr angesichts der geplanten Übernahme aber endgültig bestellte Qiagen-Chef Thierry Bernard macht weiter.

Das Qiagen-Management will nun selbst zukaufen. Geplant ist eine Komplettübernahme von NeumoDx. Bislang hält Qiagen rund 20 Prozent an dem US-Anbieter von molekularbiologischen Testgeräten, hatte sich aber bereits 2018 die Option auf einen Kauf auch der restlichen Anteile gesichert.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten Branchenbeobachter zeigen sich begeistert vom aktuell guten Lauf des Unternehmens bei den Corona-Tests. Doch es gibt auch Skeptiker. So sorgt sich Jefferies-Analyst Peter Welford um die langfristigen Wachstumsaussichten des Unternehmens. Denn hinter die Langlebigkeit des Corona-Geschäfts setzt der Experte ein Fragezeichen, sollte die Pandemie einmal vorbei sein. Welford hält es daher für möglich, dass schon bald ein neuer Kaufinteressent für Qiagen auf der Bildfläche erscheinen könnte.

Für Tobias Gottschalt vom Analysehaus Independent Research war die Nachricht von der gescheiterten Übernahme negativ, da die 2019 sichtbar gewordenen strukturellen Probleme bei Qiagen etwa im Geschäft mit der NGS-Technologie weiterhin bestünden. Qiagen profitiere derzeit von der Sondersituation durch die Pandemie, befand der Experte und senkte daher sein Votum auf Verkaufen.

Unter den neun im dpa-AFX Analyser seit Jahresbeginn gelisteten Qiagen-Beobachtern ist der Independent-Experte damit der einzige mit einem negativen Votum. Fünf Qiagen-Beobachter votieren fürs Halten, drei für einen Kauf der Aktie.

Zu den Experten mit einer Kaufempfehlung gehört Berenberg-Analyst Scott Bardo. Er hält Qiagen auch auf sich allein gestellt für stark genug. Mit der Übernahme der molekularen Testplattformen von NeumoDx wolle sich Qiagen den Zugang zu weiteren Absatzmärkten wie den USA aber auch anderen Ländern sichern.

Auch Commerzbank-Analyst Daniel Wendorff lobte, dass der Diagnostikspezialist nun unabhängig bleibe, und hob sein Votum zuletzt auf "Buy". Der Experte rechnet durch die vermehrten Tests auf das neuartige Coronavirus mit deutlichem Schub bei Umsatz und Gewinn des Unternehmens.

Dieser Rückenwind dürfte nach Einschätzung von JPMorgan-Analyst Tycho Peterson noch bis 2021 anhalten. Der Konzern habe bereits die verschiedensten Testverfahren im Angebot sowie Lösungen für die Forschung am Virus, schrieb Peterson im August, als er nach einer Pause das Papier mit "Overweight" wieder in die Bewertung aufnahm. Von einer vollständigen Übernahme von NeumoDx erwartet sich der Experte weiteren Schub, da auch für dessen Geräte unter anderem Corona- und Grippe-Tests entwickelt worden seien.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Probleme im vergangenen Jahr hatten dem Qiagen-Kurs kräftig zugesetzt. Im Oktober ging es bis auf ein Tief bei rund 22,50 Euro abwärts. Spekulationen über einen ersten Annäherungsversuch eines Interessenten gaben danach zwar wieder Schub; als Qiagen dann Ende Dezember einer Übernahme zunächst eine Absage erteilte, verlor das Papier aber auf einen Schlag fast ein Fünftel an Wert und rutschte damals auf rund 30 Euro.

Das Übernahmeangebot von Thermo Fisher gepaart mit der starken Nachfrage nach den Corona-Tests hat diese Kurs-Schlappe längst ausgebügelt. Mit einem Kursgewinn von zuletzt rund 30 Prozent seit Jahresbeginn gehört es zu den größten Gewinnern im MDax. Das Angebot von Thermo Fisher hatte dem Kurs indes einen Deckel aufgesetzt. Nach der Vorlage der Übernahmeofferte im März blieb der Kurs bis Mitte Juli unter den gebotenen 39 Euro, ebenso wurden die später gebotenen 43 Euro an der Börse während der Annahmefrist nicht erreicht.

Das Scheitern des Deals im vergangenen Monat öffnete dem Kurs offenbar die Schleusen: Bei 45 Euro erreichte die Qiagen-Aktie Ende August einen langjährigen Rekord. In solchen Höhen war das Papier das letzte Mal im Jahr 2000 gehandelt worden, bevor die Blase am Neuen Markt platzte. Kursstützend wirkte sich auch die Markteinführung eines digitalen Sars-Cov-2-Antikörperschnelltests aus. Zuletzt lag der Kurs aber wieder etwas unter 40 Euro.

Bei der Marktkapitalisierung hat Qiagen inzwischen mit derzeit rund 9 Milliarden Euro sogar die Dax-Mitglieder MTU und Covestro überholt. Weil Covestro im Börsenranking zeitweise so mies abschnitt, dass der Kunststoffhersteller auf einem Dax-Abstiegsplatz landete, hatte Qiagen sogar im Gegenzug der Aufstieg in die oberste Börsenliga gewunken. Auch der Duftstoffe- und Aromenhersteller Symrise galt als Anwärter. Am Donnerstag gab die Deutsche Börse aber bekannt, dass Covestro im Dax verbleibt./tav/stw/zb