ESSEN (dpa-AFX) - Der Industriekonzern Thyssenkrupp steckt seit vielen Jahren in der Krise. Zuletzt fiel das Traditionsunternehmen vor allem durch einen Schlingerkurs bei der Strategie sowie durch Managementwechsel auf. Nun hält die frühere Aufsichtsratschefin Martina Merz die Zügel in der Hand. Es ist lediglich ein Amt auf Zeit. Was bei dem Unternehmen los ist, was die Aktie macht und was die Experten sagen:

DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:

Die Zeiten bei Thyssenkrupp sind derzeit düster. Das Unternehmen ist eine einzige Baustelle, und das in konjunkturell trüben Zeiten. Überkapazitäten und niedrige Preise belasten das Stahlgeschäft, die Krise in der Autobranche lastet schwer auf der Komponentensparte, der Anlagenbau steckt im Umbau, dazu drücken hohe Schulden. Der Konzern wird für das am 30. September beendete Geschäftsjahr den Erwartungen nach Verluste ausweisen. Die Zahlen dazu werden am kommenden Donnerstag vorgelegt. Dann wird Merz auch zum ersten Mal in ihrer neuen Rolle in Erscheinung treten.

Das macht die Aufgabe für die Frau an der Spitze des Konzerns nicht einfach. Martina Merz muss bei den Essenern nun Feuerwehr spielen, nachdem sich Thyssenkrupp Ende September von seinem glücklosen Chef Guido Kerkhoff getrennt hatte. Dabei ist sie lediglich eine Übergangslösung, höchstens 12 Monate soll sie den Konzern leiten.

Merz hatte in einem Brief an die Mitarbeiter einen weiteren Umbau angekündigt und die Beschäftigten auf harte Einschnitte eingestimmt. Bekannt ist, dass 6000 Stellen abgebaut werden sollen, davon 4000 in Deutschland. Befürchtungen, es könne zu einem "Ausverkauf" kommen, trat sie allerdings entgegen. Die Pläne sehen vor, zwei der bislang fünf Konzernsparten weitgehend aufzulösen. Betroffen sind davon die Komponentenfertigung und der Anlagenbau. Dadurch sollen unter anderem die Führungsstrukturen schlanker werden.

Schon Kerkhoff hatte angekündigt, die Verwaltungskosten in der Konzernzentrale von 380 Millionen Euro auf unter 200 Millionen Euro senken zu wollen. Zudem hatte er vor, sich nach Partnerschaften für die Bereiche umzusehen. Offen hielt er auch die Abgabe von Teilbereichen. Das Komponentengeschäft allein ist zu klein, um wirklich wettbewerbsfähig zu sein. Der Anlagenbau bereitet Thyssenkrupp seit längerem Probleme, so verhob sich der Konzern mit einigen Großprojekten.

Dazu hat Thyssenkrupp Bereiche auf den Prüfstand gestellt, die zuletzt nur Geld verbrannten, wie etwa das Geschäft mit Grobblechen oder Federn und Stabilisatoren im Automobilbereich. Ebenfalls auf der Liste steht der Bau von Produktionsanlagen für die Automobilindustrie. Die drei Bereiche beschäftigen zusammen mehr als 9000 Mitarbeiter und stehen Unternehmensangaben zufolge für vier Prozent des Konzernumsatzes, aber für ein Viertel des im laufenden Geschäftsjahr zu erwartenden Kapitalabflusses.

Auf der Agenda steht weiter der Teil- oder Komplettverkauf des profitablen Aufzuggeschäfts. Konkurrenten wie die finnische Kone sowie eine Reihe von Finanzinvestoren sollen Interesse bekundet haben. Parallel dazu prüft der Konzern weiterhin einen Börsengang. Die Krupp-Stiftung als wichtiger Großaktionär will die Sparte dabei nicht komplett losschlagen. Die Erlöse aus einem wie auch immer gearteten Verkauf braucht der Konzern, um seinen Umbau finanzieren zu können.

Am Ende könnte Thyssenkrupp im Kern wieder ein Stahlkonzern werden - ausgerechnet das Geschäft, von dem er sich wegen seines hohen Kapitalbedarfs und seiner starken Schwankungsanfälligkeit eigentlich einmal hatte trennen wollen. Doch ein geplantes Gemeinschaftsunternehmen mit dem europäischen Geschäft der indischen Tata Steel scheiterte am Veto der europäischen Wettbewerbshüter. Wie Thyssenkrupp die Sparte zukunftssicher machen will, ist noch offen.

Dabei fehlt dem Konzern der nötige Rückenwind durch eine gute Konjunkturlage. Das Gegenteil ist der Fall: eine schwache Nachfrage, Überkapazitäten und Preisdruck rütteln die Branche derzeit durch, eine Konsolidierung scheint geboten. Spekuliert wurde dabei, den Duisburger Stahlhändler Klöckner zu übernehmen. Doch zwischen den Unternehmen herrscht derzeit Funkstille, wie Klöckner-Chef Gisbert Rühl zuletzt sagte.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Analysten nehmen momentan eine mehrheitlich abwartende Haltung ein. Der Konzernumbau ist das bestimmende Thema, in einem möglichen Börsengang sehen die Experten schon seit längerem ein großes Potenzial. In der Kritik steht Thyssenkrupp wegen der schwachen Bilanzkennzahlen und der hohen Verschuldung. Für Christian Obst von der Baader Bank spielt derzeit die Restrukturierung des Konzerns die Hauptrolle, weniger der Verkauf der Aufzüge, bei dem der Analyst lediglich mit der Abgabe eines Minderheitenanteils rechnet.

Das Schlüsselproblem bei Thyssenkrupp sieht er bei den übrigen Sparten des Konzerns, die nicht in der Lage seien, die notwendigen Barmittel zu generieren. Die Geschäfte hinken seit längerem ihren Renditezielen hinterher. Thyssenkrupp hatte erst bei der Vorlage der Neunmonatszahlen die Prognose für das Gesamtjahr gesenkt. Obst rechnet für das Geschäftsjahr 2018/19 mit roten Zahlen und einem milliardenschweren Mittelabfluss, so hätten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit dem Sommer nicht gebessert.

Jens Münstermann von der LBBW sieht die Sorgen um die operative Entwicklung von Thyssenkrupp durch den jüngsten Chefwechsel zusätzlich befeuert. Er fürchtet, dass eine Kapitalerhöhung notwendig werden könnte, wenn sich der Verkauf des Aufzuggeschäfts verzögert.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie ist ein Trauerspiel. Im August war das Papier sogar unter 10 Euro gefallen, seitdem erholt es sich wieder und notiert derzeit bei rund 13 Euro. Von ihrem Rekordhoch von 46,92 Euro im Winter 2007 ist die Aktie jedoch noch meilenweit entfernt. Analysten haben ein durchschnittliches Kursziel von 14,75 Euro auf dem Zettel.

Nach seinem Abstieg aus dem Dax im September gehört Thyssenkrupp auch im Mittelwertesegment MDax zu den großen Verlierern. Mit einem Kursminus von rund 13 Prozent in diesem Jahr belegt das Unternehmen einen der hinteren Plätze. Der MDax selbst konnte in diesem Zeitraum um rund ein Viertel zulegen. Der Rauswurf aus der oberen Börsenliga war für Thyssenkrupp eine Zäsur am Kapitalmarkt - so war mit Thyssen ein Teil des 1999 mit Krupp fusionierten Unternehmens seit dem ersten Tag des deutschen Leitindex im Jahr 1988 dabei gewesen./nas/eas/he