Auch der frühere Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, hat sich nach Angaben eines Regierungssprechers im Kanzleramt für den umstrittenen Finanzdienstleister Wirecard eingesetzt.

Das geht aus einer Aufstellung des Kanzleramts über die Kontakte zu Wirecard hervor, die die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch auf Anfrage erhielt. Fritsche hatte danach am 13. August 2019 um einen Termin für Wirecard beim Abteilungsleiter Wirtschaft, Lars-Hendrik Röller, gebeten und sich auch später mit Röller und Wirecard-Vertretern getroffen. Fritsche war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 2018 Staatssekretär im Kanzleramt und dort für die Nachrichtendienste zuständig gewesen.

Der Einsatz Fritsches für den inzwischen insolventen und mit Betrugsermittlungen konfrontierten Konzern ist insofern interessant, als dass dem untergetauchten Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ein Faible für Geheimdienste und Kontakte zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden. Einem Bericht des "Handelsblatt" zufolge befindet sich Marsalek, den die Münchener Staatsanwaltschaft per Haftbefehl sucht, derzeit in Russland unter Aufsicht des Militärgeheimdienstes GRU. Aus der Übersicht geht allerdings nicht hervor, dass Marsalek in die Gespräche involviert war.

In Berlin gab es für Wirecard trotz Berichten über mögliche Bilanzfälschungen mehrere Fürsprecher: So setzte sich auch frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg direkt bei Kanzlerin Angela Merkel für Wirecard ein. Nach der Übersicht des Kanzleramtes hatte er am 3. September 2019 mit Merkel im Vorfeld von deren Reise nach China über Wirecard gesprochen. Guttenberg hatte zudem Röller per Mail angeschrieben. Thema sei der beabsichtigte Markteintritt von Wirecard in China gewesen, wo eine Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial mit Hauptsitz in Peking geplant war, heißt es in der Übersicht. Das Unternehmen aus Aschheim bei München gehörte dann aber nicht zur Wirtschaftsdelegation der Kanzlerin in China.

WIRECARD-CHEF SICHERTE VOLLSTÄNDIGE AUFKLÄRUNG ZU

Das Kanzleramt bestätigt in der Übersicht, dass die Bundeskanzlerin das Thema der Übernahme von AllScore durch Wirecard bei ihrer Chinareise angesprochen hat. "Zum Zeitpunkt der Reise hatte sie keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard", wird zugleich betont. Ihr wirtschaftspolitischer Berater Röller traf sich mit Fritsche, dem Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop und dessen Vorgänger Burkhard Ley, zu dieser Zeit strategischer Berater von Wirecard, dann nach Merkels Chinareise am 11. September 2019. Das Gespräch habe in erster Linie dem gegenseitigen Kennenlernen gedient. "Zudem informierte die Wirecard AG in allgemeiner Form über ihre Geschäftsaktivitäten in Fernost", heißt es in der Übersicht. Eine weitere Flankierung des Kanzleramtes zu der AllScore-Übernahme sei nicht erfolgt.

Wirecard bemühte sich dann im Mai 2020 erneut um Kontakt: So habe es am 20. Mai auf Wunsch des Unternehmens ein Gespräch von Wirecard-Chef Markus Braun mit Röller gegeben. "In dem Telefonat wies Herr Dr. Markus Braun den in der Presse zirkulierten Vorwurf der Bilanzfälschung zurück und sicherte vollständige Aufklärung zu", heißt es in der Übersicht. Röller habe dies "zur Kenntnis" genommen. Braun nahm dann am 10. Juni noch an einer Videokonferenz der Kanzlerin und Kanzleramtschef Helge Braun mit Vertretern der Dax-30-Unternehmen zur Vorstellung der Corona-Warn-App teil. Auf Arbeitsebene hätten Kanzleramt und Finanzministerium am 26. Juni das Thema Wirecard besprochen. "Auf dieser Basis und vorhandener öffentlicher Informationen" seien am 30. Juni 2020 Merkel und Braun über den Bilanzskandal und die Insolvenz des DAX-Unternehmens informiert worden.

Ende April war bekannt geworden, dass etwa 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz nicht gedeckt sind. Später meldete Wirecard Insolvenz an. Seither wird diskutiert, was die Politik wann über die Vorgänge in dem Unternehmen wusste.