SEATTLE (dpa-AFX) - Der weltgrößte Onlinehändler Amazon gehört mit seinem Lieferdienst zu den großen Profiteuren der Corona-Krise. Zudem verdient das Unternehmen weiter gut an seinem florierenden Cloud-Geschäft mit IT-Services und Speicherplatz im Netz. Seit Jahren baut Konzernchef Jeff Bezos das Unternehmen aus und investiert in neue Geschäftsfelder. Bezos' Kurs zahlt sich am Kapitalmarkt aus - die Aktie erklimmt immer neue Rekorde. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und wie sich die Aktie entwickelt.

DAS IST LOS BEI AMAZON:

Amazon hat auch inmitten der Corona-Pandemie stark vom Shopping-Boom im Internet profitiert. Zudem floriert das Cloud-Geschäft mit IT-Services und Speicherplatz im Netz weiter, da die vermehrte Heimarbeit die Nachfrage steigen lässt. Im zweiten Quartal schoss der Umsatz verglichen mit dem Vorjahreswert um 40 Prozent auf knapp 89 Milliarden Dollar (rund 75 Mrd Euro) in die Höhe. Der Gewinn betrug 5,2 Milliarden Dollar, was im Jahresvergleich in etwa einer Verdopplung entspricht.

Für das laufende dritte Quartal stellt das Unternehmen einen Umsatz zwischen 87 Milliarden und 93 Milliarden Dollar in Aussicht, was einen starken Zuwachs von 24 bis 33 Prozent im Jahresvergleich ergeben würde. Beim Betriebsgewinn rechnet Amazon mit 2 bis 5 Milliarden Dollar, mit eingerechnet sind Kosten von mehr als 2 Milliarden Dollar im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum hatte das Unternehmen 3,2 Milliarden Dollar verdient.

Der 1994 von Jeff Bezos in Seattle gegründete einstige Online-Buchhändler ist mittlerweile nicht nur zum größten Kaufhaus der Welt geworden, sondern entwickelt auch eigene Elektronikgeräte wie das E-Book-Lesegerät Kindle und produziert TV-Serien für seinen Streamingdienst. Zu den margenstärksten Einnahmequellen des Konzerns zählt neben dem Cloud-Dienstleister Amazon Web Services (AWS), der vielen anderen Unternehmen eine Plattform für deren Internetaktivitäten bietet, das Werbegeschäft.

Unternehmenschef Bezos hält stetig Ausschau nach neuen und vielversprechenden Geschäftsideen. So ist Amazon einer der Vorreiter bei sprechenden Assistenten mit seiner Software Alexa. Erst jüngst stieg Amazon mit der Übernahme des Roboterwagen-Entwicklers Zoox ins Geschäft mit selbstfahrenden Autos ein. Zudem will das Unternehmen mit Sitz in Seattle in den USA die Paketlieferung per Drohne testen. Die Luftfahrtbehörde FAA stellte dem Versandhändler die entsprechende Genehmigung aus.

Amazon steht immer wieder im Visier der Behörden. Das Bundeskartellamt prüft, ob der Versandhändler Amazon in der Corona-Krise eine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat. Dabei geht es um den Online-Marktplatz von Amazon, über den andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können. "Während der ersten Corona-Monate gab es Beschwerden darüber, dass Amazon Händler wegen angeblich überhöhter Preise gesperrt hat", sagte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das Bundeskartellamt habe "eine Marktbeherrschung bisher nicht formell festgestellt".

Auch im US-Kongress zeichnet sich ein harter Kurs gegenüber amerikanischen Technologie-Riesen ab, was schärfere Regeln zur Einschränkung ihrer Marktmacht zur Folge haben kann. Bei einer mehr als fünfstündigen Anhörung in einem Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses Ende Juli schossen sich sowohl Demokraten als auch Republikaner auf die Chefs von Amazon, Apple, Facebook und Google ein.

Kritik erntet Amazon auch von den Gewerkschaften, die die Arbeitsbedingungen im Konzern monieren. Deshalb kommt es beim Internet-Händler in Deutschland immer wieder zu Streiks. Verdi versucht seit mehr als sieben Jahren, Amazon zur Anerkennung der regionalen Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels zu bewegen. Das Unternehmen vertritt die Auffassung, auch ohne Tarifvertrag ein verantwortungsbewusster Arbeitgeber zu sein.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Amazon ist auch in der Corona-Krise einer der ganz großen Gewinner an der Börse. Nach einem kurzen Rücksetzer im März bis auf etwas über die Marke von 1600 Dollar ging es schnell wieder nach oben. Beflügelt durch gute Geschäfte in der Krise und zuletzt durch die Quartalszahlen setzte sich die Rally fort und das Papier kletterte am ersten Handelstag im September auf das Rekordhoch von fast 3514 Dollar.

Angesichts des inzwischen hohen absoluten Werts scheint ein Aktiensplit, mit dem zuletzt zum Beispiel Apple oder Tesla ihre Anteile optisch billiger gemacht haben, denkbar. Bei Amazon hatte es in der Geschichte bereits drei solche Schritte gegeben, allerdings alle kurz nach dem Börsengang Ende des vergangenen Jahrtausends.

Mit dem aktuellen Niveau liegt der Kurs knapp 90 Prozent über dem Stand von Ende 2019. Das Papier setzte damit den rasanten Höhenflug der vergangenen Jahre fort. Auf die zurückliegenden fünf Jahre gesehen summieren sich die Kursgewinne auf rund 575 Prozent und seit Juni 2010 beläuft sich das Plus auf fast 2700 Prozent.

Noch imposanter lesen sich die Zahlen, wenn man auf die Zeit seit dem Börsengang im Jahr 1997 blickt. Seitdem verteuerte sich der Wert Amazons im Vergleich zu dem um Aktiensplits bereinigten Ausgabepreis von 1,5 Dollar um etwas mehr als 230 000 Prozent. Damit reicht Amazon bei dieser Wertung fast an den Softwarekonzern Microsoft heran. Der Kurs der Microsoft-Aktie legte seit dem Börsengang im Jahr 1986 im Vergleich zum splitbereinigten Ausgabepreis von etwas mehr als 7 Cent um mehr als 300 000 Prozent zu.

Gemessen am Börsenwert liegen Amazon und Microsoft mit jeweils etwas mehr als 1,7 Billionen US-Dollar auf Rang zwei und drei der weltweit wertvollsten Tech-Unternehmen. Einsamer Spitzenreiter ist derzeit Apple - der iPhone-Hersteller kommt aktuell auf fast 2,3 Billionen Dollar.

Zum Vergleich: Alle 30 Dax-Unternehmen zusammen bringen es nicht mal auf umgerechnet 1,6 Billionen Dollar. Die hohen Bewertungen der US-Techunternehmen haben zuletzt zu massiver Kritik einer zu hohen Marktkonzentrationen geführt.

Der Kursanstieg der Amazon-Aktie hat Unternehmensgründer und Konzernchef Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gemacht - und das obwohl er nach seiner Scheidung ein großes Aktienpaket abgeben musste. Sein Vermögen beläuft sich nach Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg derzeit auf 205 Milliarden Dollar.

Damit konnte der Amazon-Chef in der Corona-Krise den Vorsprung auf seine Verfolger in dieser Rangliste deutlich ausbauen. Auf Rang zwei liegt derzeit Microsoft-Mitgründer Bill Gates (126 Mrd), gefolgt von Facebook-Gründer und -Lenker Marc Zuckerberg (112 Mrd) und Tesla-Chef Elon Musk (110 Mrd).

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Trotz der Kursrally sind die meisten Analysten mit Blick auf die weitere Kursentwicklung optimistisch. 50 der 54 von Bloomberg erfassten Experten empfehlen das Papier zum Kauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 3650 Dollar und damit 200 Dollar über dem Niveau, das die Aktie aktuell innehat. Viele Experten hoben nach der Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal ihre Kursziele für die Aktie an.

In einem Quartal, in dem die Mehrzahl der stationären Geschäfte wegen der Corona-Pandemie zumindest zeitweise schließen musste, spielte Amazon nach Ansicht von DZ-Bank-Experte Ingo Wermann seine dominante Position im Onlinehandel "gnadenlos" aus. Zudem habe das Unternehmen in den wesentlich ertragsstärkeren Geschäftsfeldern spürbar zulegen können. Er hob wegen der hervorragenden Perspektiven für den Onlinehandel, das Werbegeschäft, den Abonnement-Bereich sowie die Cloud-Sparte seine Prognosen an. Den fairen Wert der Aktie erhöhte Wermann von 3400 auf 4150 Dollar.

Für Analyst Mark Mahaney vom Analysehaus RBC hat der Online-Handelsgigant im zweiten Quartal die bereits gestiegenen Erwartungen wegen einer erhöhten Kundennachfrage noch übertroffen. Das Umsatzwachstum sei nun auf einem Neunjahreshoch angekommen.

Auch Analyst Ross Sandler von der britischen Investmentbank Barclays zeigt sich von der starken Quartalsvorlage überrascht. Der Umsatz habe die Erwartungen um 9 Prozent übertroffen, während das operative Ergebnis um ein vielfaches höher sei, schrieb er in einer Studie. In all den Jahren, in denen er Amazon beobachte, habe er solch ein herausragendes Ergebnis in einem schwierigen konjunkturellen Umfeld nicht gesehen.

Einziger Wermutstropfen ist nach Ansicht von Lars Lusebrink von Independent Research das Nachlassen der Wachstumsdynamik bei AWS. Dies sei aber derzeit noch nicht kritisch, zumal im zweiten Quartal zahlreiche neue Kunden gewonnen wurden. Trotz der zeitlich begrenzten Belastungen sieht er Amazon mittel- und langfristig als großen Gewinner der Covid-19-Pandemie. So habe sich die Akzeptanz des Online-Kaufs weiter erhöht.

Der Handelsumsatz zeigte laut Gerold Deppisch von der LBBW in den letzten Jahren durch innovative Konzepte für den einfachen Einkauf und die kostenfreie, schnelle Lieferung im Rahmen des Prime Programms hohe Wachstumsraten. Deppisch geht davon aus, dass Amazon aufgrund seiner weltweit regionalen Diversifizierung und umfangreichen Investitionen in Technologie und Distribution auch zukünftig eine führende Rolle im E­-Commerce spielen wird. Zudem dürfte auch das hoch profitable Cloud­-Geschäft von AWS in den nächsten Jahren weiterwachsen./mne/zb/knd/fba