KOBLENZ (dpa-AFX) - Der Spezialsoftwarehersteller Compugroup steht vor entscheidenden Jahren. Einerseits will der auf Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser ausgerichtete Anbieter in den kommenden Jahren stark von gesetzlichen Regelungen und der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen profitieren. Andererseits gehen die Investitionen ins künftige Wachstum erst einmal ins Geld. Neu-Chef Dirk Wössner muss einen Balanceakt beim MDax-Konzern hinkriegen. Was das Unternehmen umtreibt, was Analysten sagen und wie die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI DER COMPUGROUP:

Die Corona-Krise konnte den Koblenzern bislang nur wenig anhaben. Sie sorgte in Krankenhäusern und Testzentren sogar für zusätzliche Nachfrage nach Informationssystemen, auch die Plattform Clickdoc für Videosprechstunden mit Ärzten konnte zulegen.

So rechnet sich das Unternehmen für die kommenden Jahren große Chancen dadurch aus, dass die Notwendigkeit einer stärkeren digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen selten so deutlich wurde wie im Corona-Jahr 2020. Und so steckt der Konzern nun noch mehr Geld in Technologien und Vertrieb, um das Wachstum anzuheizen.

Auch dank Zukäufen in Europa und den USA soll dieses Jahr der Umsatz auf rund eine Milliarde Euro anschwellen - das wäre ein Anstieg von rund 20 Prozent, während ohne Zukäufe und Wechselkurseffekte mit 5 Prozent Wachstum aus eigener Kraft gerechnet wird. Doch beim operativen Ergebnis wird sich das wegen der höheren Investitionen kaum niederschlagen. Es soll zwar auf Vorjahresniveau bleiben - was aber im Umkehrschluss heißt, dass die Marge deutlich sinkt von im Schnitt für 2020 geplanten 25 Prozent auf dann zwischen 20 und 23 Prozent.

Die Zahlen für das vergangene Jahr muss die Compugroup derweil Anfang Februar erst noch vorlegen. Die Prognose 2020 sah bei einem Umsatz zwischen 820 und 860 Millionen Euro und ein bereinigtes Ebitda von 205 bis 220 Millionen Euro vor. Das wären ein Umsatzplus von mindestens 10 Prozent und von mindestens 15 Prozent beim operativen Ergebnis.

Auch 2020 hat das Unternehmen von Gründer Frank Gotthardt kräftig zugekauft, der Konzern hatte sich auch über einen Aktienverkauf und eine Kapitalerhöhung finanziell gestärkt. Im Juli wurde die schon länger vereinbarte Übernahme von Teilen des Krankenhaus-IT-Spezialisten Cerner in Deutschland und Spanien abgeschlossen. Vor Jahresende langte das Unternehmen dann noch in den USA bei eMDS und Schuyler House zu - Anbieter für Arztinformationssysteme beziehungsweise Laborsoftware.

In den vergangenen Jahren konnte die Compugroup gute Geschäfte damit machen, dass die Gesetze zur Datenvernetzung im deutschen Gesundheitswesen nach und nach ihre Wirkung entfalten. Dazu gehört unter anderem die elektronische Gesundheitskarte für die Versicherten, aber auch weitere Projekte wie die jetzt zu Jahresanfang mit einer Testphase startende elektronische Patientenakte.

Die Compugroup liefert für die sogenannte Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen unter anderem die in Fachsprache Konnektoren genannte Hardware, Router-ähnliche Verbindungsboxen für angeschlossene Praxen. Bei den Konnektoren konkurriert die Compugroup unter anderem mit T-Systems, der IT-Tochter der Deutschen Telekom. Von dort - zumindest aus dem Konzerngefüge der Bonner - kommt auch der neue Compugroup-Vorstandschef Dirk Wössner. Er leitete bei der Telekom zuletzt das wichtige Deutschlandgeschäft.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Andreas Wolf von Warburg Research strich seine Kaufempfehlung jüngst und attestiert der Aktie nun nur noch ein "Halten". Sein Kursziel liegt bei 87 Euro. Der Konzern dürfte weiter von der fortschreitenden Digitalisierung in der Branche profitieren, die Aktie habe aber im Vergleich zu seinem Kursziel nur noch begrenztes Aufwärtspotenzial, schrieb er.

Die Investitionen in stärkeres mittelfristiges Wachstum seien positiv zu sehen, urteilte hingegen Florian Treisch von der Commerzbank. Das Wachstumziel liege über demjenigen, das die Compugroup in den zurückliegenden Jahren erzielt habe. Das Ausmaß der Investitionsausgaben sei jedoch enttäuschend, schließlich habe die Compugroup jahrelang das Erreichen von operativen Margen auf dem Niveau von 30 Prozent versprochen - auch wenn dieses Ziel wohl nur um ein paar Jahre aufgeschoben sei. Treisch empfiehlt ebenfalls ein Halten bei einem Kursziel von 74 Euro.

Äußerst optimistisch ist indes Uwe Schupp von der Deutschen Bank. Er votiert bei einem Kursziel von 90 Euro für einen Kauf der Papiere. Die aktuellen Investitionen belasteten zwar kurzfristig die Gewinnmargen sollten im Gegenzug aber das Konzernwachstum antreiben, glaubt der Experte.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie hat beim aktuellen Niveau von rund 81 Euro den Absturz rund um die 2021er-Prognose Anfang Dezember schon fast wettgemacht. Bis zum Jahreshoch 2020 von 85,40 Euro ist es aber noch ein gutes Stück. Komplett ausgebügelt hat das Papier den Corona-Crash, als es im vergangenen März im Tief bis auf 46,50 Euro hinab ging. 2020 legte der Compugroup-Kurs insgesamt ein Plus von mehr als 23 Prozent hin.

Auf längere Sicht konnten Anleger mit den Papieren gute Geschäfte machen. So lag der Kurs vor vier Jahren noch bei rund der Hälfte des heutigen Werts und damit um die 40 Euro. Vor zehn Jahren waren es um die 10 Euro pro Papier. Zwischendrin gab es im Anstieg bis heute auch immer mal wieder Rücksetzer, teils weil die Einführung neuer Technik im Gesundheitssystem stark von gesetzlichen Vorgaben abhängig ist.

Aber auch die mauen Margenaussichten für das kommende Jahr schmeckten den Investoren nicht. Allerdings befindet sich die Compugroup mit ihren Investitionen in guter Gesellschaft im Softwaresektor - auch Großkonzerne wie SAP wollen derzeit verstärkt Wachstumschancen nutzen, um die Ernte der Bemühungen dann etwas später einzufahren.

Die Compugroup ist an der Börse mittlerweile rund 4,3 Milliarden Euro wert. Knapp die Hälfte der Anteile halten Gründer Frank Gotthardt und seine Familie sowie der Mediziner Reinhard Koop, der Streubesitz liegt nach der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung und der Platzierung eines Aktienpakets leicht über 50 Prozent. Die Kontrolle des Konzerns liegt aber nach der Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) weiter in den Händen von Gotthardt./men/nas/mis