Berlin (Reuters) - Die Folgen des Ukraine-Kriegs sorgen bei Börsenprofis zunehmend für Konjunkturskepsis und Furcht vor einer Rezession.

Das Barometer für die Einschätzung zur deutschen Wirtschaft in den nächsten sechs Monaten fiel im April um 1,7 auf minus 41 Punkte, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner monatlichen Umfrage unter 163 Analysten und Anlegern mitteilte. Im März hatte es wegen des russischen Einmarschs den stärksten Rückgang seit Beginn der Umfrage im Dezember 1991 gegeben. Ökonomen hatten nun für April sogar mit einem Rückgang auf minus 48 Zähler gerechnet. "Die Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die aktuelle wirtschaftliche Lage schlecht ist und sich noch weiter verschlechtern wird", erklärte ZEW-Präsident Achim Wambach.

Ein kleiner Lichtblick sei der Rückgang der Inflationserwartungen. "Die Aussicht auf eine Stagflation in den kommenden sechs Monaten besteht jedoch nach wie vor", sagte Wambach mit Blick hohe Verbraucherpreise und schwache Konjunktur. Andere Experten hingegen sehen kaum Lichtblicke. "Deutschland droht eine Rezession", sagte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. "Massive Verspannungen bei den internationalen Lieferketten, explodierende Inflationsraten und steigende Zinsen sprechen für eine deutliche konjunkturelle Abkühlung." Es bleibe zu hoffen, dass die Verbraucher nach den Corona-Lockerungen wieder mehr konsumierten, ergänzte Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. "Käme es zu einer Energiekrise, wären eine Rezession und Arbeitsplatzverluste unvermeidbar."

Analyst Andreas Busch sieht wegen des Kriegs weiter große Unsicherheit. Zuletzt hätte es allerdings eine Stabilisierung in einigen Bereichen gegeben, und die Preise von manchen Rohstoffen seien wieder gesunken, sagte der Experte vom Vermögensverwalter Bantleon. "Bei Benzin und Diesel konnte bereits die Hälfte des kriegsbedingten Anstieges wieder wettgemacht werden."

Viele Ökonomen, Banken und Forschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft massiv gesenkt und teilweise halbiert. Die meisten Fachleute rechnen wegen hoher Energiepreise, steigender Inflation und verstärkter Lieferengpässe 2022 nur noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von rund zwei Prozent. Im ersten und laufenden zweiten Quartal könnte die Wirtschaft sogar schrumpfen und Deutschland so in eine vorübergehende Rezession rutschen.

Für Russland lässt sich dies wohl nicht mehr verhindern. Die Regierung in Moskau erwartet wegen der westlichen Sanktionen nach der russischen Invasion der Ukraine den stärksten Konjunkturabsturz seit 1994. "Die offizielle Prognose dürfte eine Schrumpfung um mehr als zehn Prozent vorsehen", sagte Rechnungshofchef Alexej Kudrin nach Angaben der Nachrichtenagentur RIA. Das werde aus den neuen Prognosen des Wirtschafts- und Finanzministeriums hervorgehen, erläuterte Kudrin.

Der globale Handel wird sich nach Einschätzung der Welthandelsorganisation wegen des Kriegs deutlich abschwächen. Demnach dürfte es dieses Jahr nur noch ein Plus von 3,0 (bisher: 4,7) Prozent geben. Für 2023 rechnet die WTO mit einem Anstieg um 3,4 Prozent. Für die Weltwirtschaft sagt die WTO nur noch 2,8 Prozent Wachstum voraus, statt der bisher erwarteten 4,1 Prozent. 2023 dürften es dann 3,2 Prozent sein.