Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Vertreter der deutschen Wirtschaft haben auf die erneute Streikankündigung der Lokführergewerkschaft GDL mit heftiger Kritik und der Warnung vor schweren Folgen reagiert. "Die Ankündigung weiterer Streiks sendet ein völlig falsches Signal zur falschen Zeit", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. "Die GDL muss dringend zur Verhältnismäßigkeit zurückfinden. Diese Streiks werden nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die ganze Gesellschaft zunehmend zur kaum kalkulierbaren Belastung."

Russwurm nannte es unverantwortlich, das Streikrecht auf dem Rücken der Allgemeinheit mitten in einer Pandemie mit steigenden Infektionszahlen und Lieferengpässen auszuüben. Überfüllte Pendlerzüge seien "das genaue Gegenteil einer vorausschauenden Pandemiebekämpfung". Eine Unterbrechung der Lieferketten durch längere Streiks im Güterverkehr setze die Wirtschaftserholung nach Corona aufs Spiel. "In der Industrie sind empfindliche Produktionsausfälle zu erwarten."

Besonders hart treffe der Streik die Branchen, die mit ihrer Logistik weitgehend auf die Bahn angewiesen seien. Dazu gehörten neben Chemie-Gefahrguttransporten auch die Rohstoffanlieferung in der Stahlindustrie oder die Transporte der Automobilwirtschaft in die Exporthäfen. "Bei nicht wenigen Transportketten, die jetzt streikbedingt auf die Straße umgestellt werden, wird es die Schiene schwer haben, diese für sich zurückzugewinnen", warnte Russwurm.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, forderte die Lokführergewerkschaft zu Verhandlungen auf. "Ich rufe die GDL eindringlich auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren", sagte er. Die deutsche Wirtschaft versuche gerade erst, nach der Coronavirus-Pandemie Fuß zu fassen. "Das darf nicht durch die hohen volkswirtschaftlichen Kosten eines solchen Streiks gefährdet werden."


   Arbeitgeber fordern tragfähige Lösung 

Dulger betonte, die materiellen Differenzen erschienen zudem überbrückbar. "Wir müssen in der jetzigen Situation zu einer tragfähigen Lösung kommen, um die Sozialpartnerschaft zu sichern", mahnte der Arbeitgeberpräsident.

Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) warnte, ein längerer Bahnstreik wäre ein Rückschlag für einen nachhaltigen Schienengüterverkehr. "Der zuletzt auf zwei Tage befristete Bahnstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer war für die industriellen Einkäufer, Logistiker und Supply Chain Manager noch relativ gut beherrschbar", sagte BME-Chefin Gundula Ullah. "Die jetzt vom 21. bis 25. August geplante Stilllegung des Schienengüterverkehrs dürfte dagegen gravierendere Auswirkungen auf die Material- und Warenströme haben."

Sowohl die Coronavirus-Pandemie als auch die Folgen der Flutkatastrophe hätten bereits zu Beeinträchtigungen in den Lieferketten geführt. Diese würden bei der jetzt anstehenden Ausweitung des GDL-Bahnstreiks zusätzlich unter Druck gesetzt. Leiden würden unter dem an fünf Tagen ruhenden Schienengüterverkehr Just in Time produzierende Industriebetriebe, allen voran der Autosektor. "Angesichts der ohnehin schon angespannte Situation in den Lieferketten appellieren wir an beide Verhandlungsseiten, die Tarifauseinandersetzung möglichst schnell zu beenden", sagte Ullah.

Der jetzt über fünf Tage stillstehende Schienengüterverkehr werde rohstoffabhängige Branchen wie die Stahl- und Chemieindustrie, aber auch den Bau- und Agrarsektor besonders treffen, sagte Carsten Knauer, der Leiter der BME-Sektion Logistik. Die Deutsche Bahn stehe seit Jahren in einem intensiven Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern. "Der jetzt anstehende GDL-Bahnstreik könnte das Vertrauen der Verlader und Spediteure in den Schienengüterverkehr massiv beschädigen", warnte auch Knauer.

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August 20, 2021 08:39 ET (12:39 GMT)