Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm, sprach mit Blick auf das Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada am Donnerstag von einem überfälligen Schritt. "Er muss der EU jetzt neuen Schwung in der Handelspolitik verleihen. Deutschland und die EU brauchen offene Märkte, gerade in Zeiten des zunehmenden Protektionismus." Ähnlich äußerte sich der Automobilverband VDA: "Wir müssen unsere Zusammenarbeit mit anderen Ländern ausbauen und intensivieren", so VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Es brauche mehr Investitions- und Handelsabkommen sowie mehr Energie- und Rohstoffpartnerschaften. Der Chemieverband VCI nannte als mögliche Beispiele die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie Australien, Südostasien, Indien, Afrika und auch die USA. "Ceta sollte nur ein erster Schritt auf dem Weg zum freien Handel sein."

Deutschland hat nach jahrelangem Zögern das Ceta-Freihandelsabkommen der EU mit Kanada ratifiziert. Der Bundestag votierte mehrheitlich dafür. Ceta kann allerdings erst endgültig in Kraft treten, wenn alle 27 EU-Mitgliedsstaaten grünes Licht gegeben haben. Viele Länder fehlen noch. Die Verhandlungen über das Abkommen hatten beide Seiten 2016 abgeschlossen. Seit September 2017 wird es vorläufig angewendet. Damit gibt es für 98 Prozent aller Waren, die zwischen der EU und Kanada gehandelt werden, keine Zölle mehr. Kanada selbst hat die Ratifizierung bereits abgeschlossen. Laut Industrieverband DIHK fallen für europäische Unternehmen pro Jahr rund 500 Millionen Euro an Zollgebühren weg.

"Wir verdanken dem Abkommen, dass die Ausfuhren nach Kanada in den letzten fünf Jahren um mehr als ein Viertel gestiegen sind", sagte der Präsident des Großhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. "Selbst 2020 gab es trotz der Corona-Pandemie einen Zuwachs von über 15 Prozent. Ceta hat insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen geholfen, nach Kanada zu exportieren und sich dort zu etablieren." Jandura forderte, Freihandelsabkommen nicht mit moralischen Wertevorstellungen zu überfrachten. "Wenn schon ein Abkommen mit Kanada auf solche Hürden stößt, dann fürchte ich Schlimmes für die anderen." Wirtschaftsminister Robert Habeck will Nachhaltigkeitskriterien - beispielsweise Auflagen zum Umweltschutz und Mindestarbeitsnormen - zwingend in Handelsabkommen verankern.

Die Handelsbeziehungen der EU und der USA werden derzeit durch riesige Subventionen für in den USA produzierende Firmen überschattet. Hier sind Spitzenpolitiker der Ampel-Koalition skeptisch, ob eine Neuauflage der Verhandlungen jetzt angebracht ist. "Mir ist in Washington signalisiert worden, dass ein Handelsabkommen mit der EU aktuell kein Thema ist", sagte SPD-Co-Chef Lars Klingbeil zuletzt der Nachrichtenagentur Reuters. Bis zur Präsidentenwahl 2024 liege der Fokus jetzt auf den USA selbst. "Trotzdem sollten wir dieses Angebot machen, die Hand Richtung Washington ausstrecken." Auch Grünen-Co-Chef Omid Nouripour glaubt nicht an erneute Verhandlungen mit den USA, wie er RTL/ntv sagte.

(Bericht von Christian Krämer, Mitarbeit von Andreas Rinke, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)