(Tippfehler in letzter Zwischenüberschrift korrigiert: fehlender Buchstabe im Wort "Gedenkstätte" ergänzt)

NEU DELHI/BENGALURU (dpa-AFX) - Beim zweitägigen Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Indien sind die Differenzen zwischen beiden Ländern mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich geworden. Ungeachtet dessen vereinbarte der Kanzler mit dem indischen Premierminister Narendra Modi, die wirtschaftlichen und strategischen Beziehungen auszubauen. Es winkt auch ein Milliardengeschäft zum Bau von sechs U-Booten für die indische Marine. Der Kanzler dringt zudem auf den schnellen Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU, mehr Investitionen in Indien und einen leichteren Zuzug indischer Fachkräfte nach Deutschland.

Indien pflegt genauso enge Beziehungen zu Russland wie zum Westen - und bleibt deswegen mit Blick auf den Krieg neutral. Bei allen UN-Resolutionen zur Verurteilung der Invasion enthielt sich Indien genauso wie China - auch bei der zum ersten Jahrestag des Kriegs.

Scholz betont Bedeutung der UN-Resolution

Nach seinem Gespräch mit Premierminister Modi in Neu Delhi am Samstag betonte Scholz die Bedeutung dieser UN-Resolutionen. Er sei sicher, "dass auch unter den Ländern, die nicht mitgestimmt haben, die allermeisten das als einen Angriffskrieg bewerten". Die indische Regierung verwendet den Begriff Krieg aber wie Russland selbst nicht, sondern spricht von Krise oder Konflikt. Daran hielt Modi sich auch in der gemeinsamen Pressebegegnung mit Scholz.

Statt die russische Invasion zu verurteilen, warb der indische Premier für Diplomatie. Indien rufe seit einem Jahr zu einer Lösung durch Dialog auf. "Indien steht bereit, an jedem Friedensprozess teilzunehmen", sagte Modi laut offizieller Übersetzung. Die Ukraine sieht keinen Sinn in Verhandlungen, solange Russland nicht zum Abzug seiner Truppen aus den besetzten ukrainischen Gebieten bereit ist.

Keine offene Konfrontation wie in Südafrika oder Brasilien

Eine Konfrontation auf offener Bühne gab es aber nicht. Das hatte Scholz bei Reisen in russlandfreundliche Länder schon anders erlebt, zum Beispiel in Südafrika oder zuletzt in Brasilien, wo Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf einer Pressekonferenz sogar der Ukraine eine Mitschuld am Angriffskrieg gab. Dass die Weltgemeinschaft alles andere als einig in Sachen Ukraine ist, zeigte am Wochenende auch das G20-Finanzministertreffen im indischen Bengaluru, bei dem keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande kam. Neben Russland wollte auch China einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs nicht zustimmen. Indien hat derzeit den G20-Vorsitz und veranstaltet im September einen Gipfel, zu dem Scholz nach Neu Delhi fliegen wird.

Indien importiert jetzt mehr russisches Öl

Scholz will die Beziehungen zu der fünftstärksten Wirtschaftsmacht der Welt weiter ausbauen - auch um Indien aus seiner engen Bindung an Russland zu lösen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung weltweit seine Importe von relativ günstigem russischen Öl ausgeweitet. Kritiker werfen Indien vor, damit die Sanktionen des Westens auszuhebeln. Indien sagt dagegen, es brauche günstiges Öl für seine relativ arme Bevölkerung.

Auch militärisch steht Indien Russland sehr nahe. Ein Großteil der Ausrüstung der indischen Streitkräfte stammt von dort. Das wollen westliche Länder wie Deutschland ändern. Scholz und Modi sprachen über konkrete Rüstungsprojekte, sagten aber nicht über welche.

Berichte: Indien will sechs U-Boote

Indischen Medienberichten zufolge sucht die Regierung in Neu Delhi einen Kooperationspartner für die Produktion von sechs U-Booten. Aus Deutschland käme dafür ThyssenKrupp Marine Systems in Frage, aber auch Südkorea soll im Rennen sein. Ein solches Geschäft wäre mehrere Milliarden Euro wert. Derzeit verfügt Indien über ein nukleares und 16 konventionelle U-Boote. Das Land zählt zu den mutmaßlich insgesamt neun Ländern, die über Atomwaffen verfügen, und steht seit Jahrzehnten in einem Territorialkonflikt um die Region Kaschmir mit dem ebenfalls nuklear bewaffneten Nachbarland Pakistan.

Scholz machte deutlich, dass er kein Problem mit einem Ausbau der Rüstungskooperation hat. Die "Qualität der deutschen Technik" sei auch in diesem Bereich bei den indischen Partnern hoch anerkannt, sagte er. Man wolle die Zusammenarbeit "in ganz konkreten Arbeitsbeziehungen vertiefen und da weiter dran bleiben". Auch Modi betonte, es gebe im Sicherheits- und Verteidigungsbereich noch "unerschlossenes Potenzial".

Scholz macht Druck bei Freihandelsabkommen

Der Kanzler, der von einem Dutzend Wirtschaftsvertretern begleitet wurde, will auch die Wirtschaftsbeziehungen deutlich ausbauen. Deutsche Investitionen in Indien sollten verstärkt und die Zahl der Beschäftigten der 1800 deutschen Unternehmen dort "massiv erhöht" werden. Scholz machte sich zudem für einen möglichst baldigen Abschluss eines Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indien stark. Verhandlungen gab es von 2007 bis 2013. Damals scheiterten die Gespräche und wurden erst im vergangenen Jahr wieder aufgenommen. "Ich bin dafür, dass wir jetzt mehr Druck entwickeln, dass wir einen großen Willen entwickeln", sagte Scholz.

Gandhi-Gedenkstätte und Cricket-Stadion

In Neu Delhi besuchte der Kanzler eine Gedenkstätte für den Friedensnobelpreisträger Mahatma Gandhi. Nach seinen politischen Gesprächen in Neu Delhi reiste er am Sonntag nach Bengaluru, in die Hightech-Metropole im Süden des Landes. Dort sah er sich den größten Standort des Software-Konzerns SAP außerhalb Deutschlands und das Unternehmen Sun Mobility an, einen Hersteller von Batterie-Stationen für elektrische Fahrzeuge. Außerdem besuchte Scholz ein Stadion für Cricket - den mit großem Abstand beliebtesten Sport in Indien./mfi/asg/DP/he