Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Der eigentliche Gewinner der Bundestagswahl ist die FDP. Denn die Freidemokraten sind mehr noch als die Grünen die eigentlichen Kanzlermacher. FDP-Chef Christian Linder trieb am Sonntag den Preis seiner Partei für den Einstieg in ein Bündnis mit der SPD oder mit der Union hoch. Sowohl CDU-Chef Armin Laschet als auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz brauchen die FPD, um den Schlüssel zum Kanzleramt zu bekommen.

In den Hochrechnungen lag die SPD zuletzt vor der Union. Damit hätte eigentlich Scholz das Zugriffsrecht auf die Koalitionsverhandlungen, die ihm mit den Grünen und der FDP vorschweben.

Aber die FDP ziert sich. Denkbar, dass sich Lindner damit das Amt des Bundesfinanzministers sichern will, das auch die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung für sich reklamiert hatten.

Lindner stören die Steuererhöhungspläne von SPD und Grüne, denn beide wollen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Steuererhöhung für Menschen mit hohen Einkommen. Beide liebäugeln außerdem mit einer Lockerung der Schuldenbremse, um damit hohe staatliche Investitionen in den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen. Auch hier schrillen bei der FDP die Alarmglocken.

Der FDP-Chef wies nach den ersten Hochrechnungen auf die große inhaltliche Nähe hin, die die FDP mit dem Wahlprogramm der Union verbinde. Damit machte Lindner klar, dass es für Scholz teuer wird, wenn dieser die FDP mit ins Boot nehmen will, um der Union nach knapp 16 Jahren das Kanzleramt zu entreißen. Die FDP wird einer Ampel ein deutlich wirtschaftsfreundlicheren Anstrich geben, als sich dies SPD und Grüne ausgemalt haben.


FDP als letzter Strohhalm für Laschet 

Für CDU-Chef Laschet hingegen ist Lindner der letzte Strohhalm, an den er sich klammern kann, um seine eigenes politischen Überleben zu sichern. Lindner weiß darum und deshalb kann er auch hier den Preis für einen Eintritt in ein Jamaika-Bündnis hoch treiben.

Denn es scheint undenkbar, dass die Union als Juniorpartner in eine große Koalition mit der SPD unter Führung von Scholz eintreten könnte.

FDP und Grüne wissen, dass Laschet im schlimmsten Fall Opfer eines parteiinternen Putsches werden könnte. Denn wenn der 60jähriger Aachener bei seinem Versprechen bleibt, wird er ungeachtet des historischen Wahldebakels nach Berlin gehen und seinen Job als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen aufgeben.

Laschet ist verwundbar. Er kam nach dem Wahldebakel am Sonntag immer wieder auf die Inhalte zu sprechen, die für die Zukunft Deutschlands so wichtig seien. Personalfragen seien jetzt kein Thema. Es ist unklar, ob Laschet wegen des schlechten Abschneidens der Union bei der Sitzung der Bundestagsfraktion am Dienstag zum Fraktionschef gewählt wird - oder ob wegen der Unzufriedenheit der Abgeordneten mit Laschets enttäuschendem Wahlkampf der aktuelle Fraktionschef Ralph Brinkhaus zunächst bestätigt werden wird.

Im schlimmsten Fall könnte Laschet als einfacher Abgeordneter im Bundestag landen. Das weiß Laschet. Das weiß auch Lindner. Und dass wissen außerdem die Grünen-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.


FDP kann Scholz nutzen 

Dem SPD-Spitzenkandidaten Scholz kann die FDP als Kanzlermacher allerdings ebenfalls durchaus recht sein, um in den inhaltlichen Verhandlungen des Regierungsprogramms für die kommenden vier Jahre den linken Flügel in der SPD zu zähmen. Denn Realo Scholz hat oft Positionen vertreten, die sich nicht mit denen von der linken SPD-Chefin Saskia Esken oder dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Kevin Kühnert deckten. Im Wahlkampf ist es der Partei gelungen, diese Zwistigkeiten unter Verschluss zu halten. Fraglich ist aber, wie lange das in der streitbaren SPD gelingt.

Auch die Grünen kann Scholz in einigen Positionen dank der FDP zu moderateren Positionen in Wirtschafts- und Umweltfragen bringen.

Um diesen Preis weiß Lindner. Und auch die Grünen sind sich dessen bewusst. Sowohl Scholz als auch Laschet werden sich daher den Einzug ins Kanzleramt teuer von den Kanzlermachern erkaufen müssen.

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September 26, 2021 16:07 ET (20:07 GMT)