--Braun: Schuldenbremse in kommenden Jahren nicht einzuhalten

-- Unionsfraktion hält an Schuldenbremse fest

--Scholz: Parteiübergreifender Konsens nötig

--Ökonomen sehen Brauns Vorstoß skeptisch

(NEU: weitere Reaktionen)

Von Andreas Kißler und Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ist mit seinem Vorschlag nach einer längeren Aussetzung der Schuldenbremse auf Widerspruch in der eigenen Partei und bei Ökonomen gestoßen. Braun hat sich angesichts der coronabedingten finanziellen Belastungen für eine Grundgesetzänderung ausgesprochen. Die Vorschläge zur Schuldenbremse setzten "einen breiten parteiübergreifenden Konsens voraus" und machten "hohe gesetzgeberische Eingriffe nötig", betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) über den Kurznachrichtendienst Twitter.

"Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten", schrieb Braun in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Deshalb sei es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, "die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt".

Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund eine Nettokreditaufnahme von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Dieser Verschuldungsspielraum besteht strukturell, also unabhängig von der konjunkturellen Lage. Im vergangenen Jahr lag das strukturelle Defizit pandemiebedingt bei 1,52 Prozent des BIP.


 
Widerspruch von den Parteikollegen 

In seiner eigenen Partei stieß Braun mit seinem Vorstoß aber auf Ablehnung. Unions-Fraktionschef Ralf Brinkhaus (CDU) erklärte, es sei "keine mehrheitsfähige Position in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldengrenze auszusetzen". Die Fraktion bleibe bei ihrer ordnungspolitischen Linie. "Insofern brauchen wir darüber auch nicht mehr diskutieren", meinte er. "Die Unionsfraktion im Bundestag hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest", erklärte auch ihr Haushaltssprecher Eckhardt Rehberg. Brauns Vorschlag sei dessen "persönliche Meinung", hob der CDU-Politiker hervor.

"Ich glaube, dass man zwei Dinge unterscheiden muss: Das eine ist, wie man vernünftig und pragmatisch auf die Corona-Pandemie reagiert, und zum anderen darf aber nicht infrage stehen, dass der Kurs der Konsolidierung und der Kurs der Schuldenbremse auch für die Zukunft richtig bleiben", sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). CSU-Parlamentsgeschäftsführer Stefan Müller twitterte, die CSU-Bundestagsfraktion "steht klar zur Schuldenbremse. Mit uns gibt es weder Abschaffung noch Aufweichung."

Nach Ansicht von FDP-Chef Christian Lindner will Braun mit falschen Mitteln die hohe Staatsverschuldung bekämpfen. "Der Hebel muss richtig auf Wachstum und Konsolidierung der Staatsausgaben umgelegt werden. Die Position von Herrn Braun hat dagegen den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation", sagte er. Die Schuldenbremse sollte nicht aufgegeben, sondern modifiziert werden, indem man die Sozialversicherungssysteme mit einbezieht.


 
Laschet soll Farbe bekennen 

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte dagegen, er habe Brauns Beitrag "mit Interesse und auch gewisser Überraschung" zur Kenntnis genommen. "Ich weiß nicht, ob das innerhalb der CDU/CSU so abgesprochen ist", hob er hervor. Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet solle klarmachen, wie er mit dieser Frage umgehen wolle. Auch Fraktionsvize Achim Post erwartete, "dass der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet jetzt schnell für Klarheit sorgt". Sollte die CDU tatsächlich bereit sein, ihr "bisheriges Dogma der Sparpolitik" ein großes Stück hinter sich zu lassen, wäre dies zu begrüßen.

Teilweise Zustimmung kam auch von den Grünen und der Linken. Grünen-Chef Robert Habeck stellte sich hinter den Vorstoß, unterstütze ihn aber nicht uneingeschränkt. "Gut, dass das Kanzleramt und Helge Braun den Mut finden, die Wahrheit auszusprechen: Die Schuldenbremse ist so künftig nicht mehr einzuhalten", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Allerdings sei es nur "eine Notlösung", die Schuldenbremse auszusetzen. Vielmehr solle sie dauerhaft um eine Investitionsregel ergänzt werden. Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi erklärte: "Die dümmste Regel Deutschlands wird einen Tod auf Raten sterben, auch wenn die Union sich nicht traut, sie endgültig zu beerdigen."


 
Ökonomen weisen Vorschlag zurück 

Ökonomen wiesen den Vorschlag des Kanzleramtschefs zurück. "Eine Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse ist der Anfang von ihrem Ende", sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, der Rheinischen Post. "Es ist möglich, nach der Corona-Krise, wenn sich der Aufschwung stabilisiert hat, zu einer soliden Finanzpolitik ohne massive Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen zurückzukehren." Denn der Bund nehme enorme Rücklagen aus der Corona-Krise mit und die frühere Flüchtlingsrücklage sei auch nach ihrer Umbenennung noch nicht angerührt worden.

Ähnlich kritisch bewertete Ifo-Chef Clemens Fuest den Vorstoß aus dem Kanzleramt. "Den Vorschlag, die Schuldenbremse jetzt für längere Zeit auszusetzen, halte ich nicht für sinnvoll, weil wir die Wirtschaftsentwicklung nicht kennen", sagte er der Rheinischen Post. Es könne durchaus sein, dass 2022 noch einmal eine Ausnahme notwendig sei, aber das wisse man heute noch nicht. "Die These von Herrn Braun, dass man in den kommenden Jahren auf Steuererhöhungen verzichten und Investitionen vorantreiben sollte, halte ich ausdrücklich für richtig. Dazu braucht man aber keine Grundgesetzänderung."

Der Leiter der Abteilung Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Alexander Kriwoluzky, forderte, die Schuldenbremse lieber zu modifizieren als auszusetzen. "Die Schuldenbremse hat sich in guten Zeiten bewährt, aber auch in schlechten Zeiten das richtige Signal gesendet: Der Haushalt des betreffenden Landes ist solide", sagte er. Länder mit einer solchen Schuldenregel erholten sich schneller und seien krisenresilienter. "Wir sollten uns also hüten, die Schuldenbremse auf unbestimmte Zeit auszusetzen", warnte er.

(Mitarbeit: Petra Sorge)

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January 26, 2021 09:24 ET (14:24 GMT)