--Merkel: Hätte mich rückblickend bei Wirecard anders verhalten

--Merkel spricht Berater Röller Vertrauen aus

--Wirkungsvolle Aufsichtsbehörden nötig

(NEU: Weitere Aussagen von Merkel, Reaktionen)

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach eigener Aussage dem umstrittenen Finanzkonzern Wirecard bei einer Reise nach China "keine Sonderbehandlung" gegeben. Sie bestätigte im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zur Rolle der Bundesregierung im Wirecard-Skandal, dass sie sich auf ihrer China-Reise im September 2019 für die Marktöffnung Chinas eingesetzt habe und dass dazu auch der Finanzmarkt gezählt habe. In diesem Zusammenhang habe sie das Thema Wirecard erwähnt. Nötig sei eine wirkungsvolle Finanzmarktkontrolle durch die Aufsichtsbehörden.

Zwar habe es vor dem Insolvenzantrag des Unternehmens Presseberichte über mögliche bedenkliche Praktiken bei Wirecard gegeben. Aber es gab zum damaligen Zeitpunkt "keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten von Wirecard" auszugehen, erklärte Merkel während ihrer Aussage als Zeugin bei der Sitzung des Wirecard-Untersuchungsausschusses.

Schon vor September 2019 hatte es bereits Berichte über mögliche Marktmanipulationen durch Wirecard gegeben. Auch wurde das Unternehmen Mitte 2019 bereits in Bayern wegen möglicher Geldwäsche untersucht. Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im vergangenen Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden. Es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Der frühere Unternehmenschef Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, der frühere COO Jan Marsalek ist flüchtig. Mit dem heutigen Wissen, hätte sie es damals "natürlich anders" gemacht, so Merkel zu ihrem Eintreten für Wirecard.


   "Setze mich regelmäßig für deutsche Unternehmen im Ausland ein" 

Merkel sagte, sie selbst habe zuvor aus Termingründen keine Spitzenmanager von Wirecard getroffen. Aber es habe am 3. September 2019 ein Gespräch mit dem früheren Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gegeben, der sie um ein Treffen im Kanzleramt bat. Nach dessen Aussagen hat er dort für das Finanzunternehmen bei ihrer China-Reise im Herbst 2019 geworben. Merkel betonte, das mit zu Guttenberg vereinbarte "Gespräch stand in keinem Zusammenhang mit meiner zwei Tage später beginnenden Reise". Sie entspreche üblicherweise Gesprächswünschen früherer Kabinettsmitglieder. Sie erinnere sich nicht an ein Gespräch über Wirecard, könne aber nicht ausschließen, dass das Thema zur Sprache gekommen sei. Aber es sei zutreffend, dass sie zu Guttenberg an ihren Wirtschaftsberater Lars-Henrik Röller verwiesen habe, der im Bundeskanzleramt für Wirtschaft, Finanzen und internationale Kontakte in diesem Bereich zuständig ist.

Merkel hatte dann zwei Tage später Ambitionen von Wirecard zum Einstieg in den dortigen Markt bei hochrangigen Gesprächen in Peking zur Sprache gebracht. Allerdings betonte sie, dass Wirecard "keine Sonderbehandlung" auf der Reise genossen habe. Sie setze sich "regelmäßig" auf Auslandsreisen für die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands ein, dies betreffe auch den Finanzmarkt.

"In dem Zusammenhang hatte es seine Richtigkeit, dass ich das Thema Wirecard und Marktzugang (...) bei Gesprächen in China zur Sprache gebracht habe", sagte Merkel. "Aus der Perspektive dessen, was damals bekannt war, konnte man von so schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten nicht ausgehen."


   Merkel mahnt wirkungsvolles Kontrollsystem an 

Die Kanzlerin zeigte sich entsetzt über den Betrugsskandal bei Wirecard und betonte, dass aus dem Wirecard-Skandal Lehren gezogen werden müssten und die Regierung dies auch tue. Es dürfe nicht sein, dass dem Staat gegen kriminelle Energie nichts einfalle. Hier müsse bei der Finanzaufsicht "das Menschenmögliche getan werden".

"Wir sind verpflichtet, ein Kontrollsystem aufzubauen", um so auch das Vertrauen der Anleger in den Finanzmarkt zu stärken, so Merkel.

Angesichts der Versäumnisse der Finanzaufsichtsbehörden, den Betrug bei Wirecard früher aufzudecken, sei die Aufsichtsseite objektiv nicht genug aufgestellt gewesen, so Merkel.


   Kritik von SPD und Grünen 

SPD-Bundestagsabgeordneter Jens Zimmermann, der Obmann im Untersuchungsausschuss ist, kritisierte die Rolle von Röllers Ehefrau. Sie habe mit China Kontakte zu Wirecard "angebahnt". "Ich habe nicht den geringsten Anlass, mein Vertrauen in Herrn Röller und andere Mitarbeiter in Frage zu stellen", sagte Merkel. Sie habe keine Gründe, an Röllers "Loyalität, Integrität" und präzisen Arbeit zu zweifeln.

Danyal Bayaz, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, zog als Fazit, dass es "ziemlich blöd" aussehe, wenn die Kanzlerin im Ausland für ein Unternehmen wirbt, das "tief im kriminellen Sumpf" stecke.

"Das Kanzleramt und ihre Minister haben Merkel schlecht auf ihren China-Besuch vorbereitet. Es fehlte die notwendige Distanz und Sensibilität für Compliance", so Bayaz.

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April 23, 2021 08:17 ET (12:17 GMT)