--Baerbock verspricht Neuanfang und Erneuerung für Deutschland

--Kanzlerkandidatin hat keine Regierungserfahrung

--Grüne in Umfragen zweitstärkste Kraft

(NEU: Weitere Aussagen)

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die Grünen haben Parteichefin Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin ernannt. Die 40-jährige Brandenburgerin versprach einen Neuanfang für Deutschland und ein neues Verständnis von politischer Führung, bei der transparente Entscheidungen und Selbstkritik im Vordergrund stehen sollen. Baerbock ist die erste Kanzlerkandidatin der Partei und hat sich damit gegen den Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck durchgesetzt. Anders als im aktuell noch tobenden Machtkampf zwischen den Vorsitzenden von CDU und CSU wurde die K-Frage bei den Grünen geräuschlos entschieden. Die endgültige Entscheidung zum Kanzlerkandidaten wird auf dem Grünen-Parteitag im Juni getroffen. Diese gilt als sicher.

"Wir haben eine klare Idee einer Kanzlerschaft für Deutschland", sagte Baerbock in Berlin. Sie stehe für eine Politik der Erneuerung. "Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit", so Baerbock. Habeck bezeichnete sie als "kämpferische" und "willensstarke" Politikerin.

Die dem Realo-Flügel der Partei zugerechnete Politikerin ist bei den Grünen deutlich beliebter als ihr 51-jähriger Mitstreiter aus Schleswig Holstein. Auch in der Bevölkerung hat Baerbock in den vergangenen Wochen laut Umfragen deutlich aufgeholt zum populären Habeck und führt aktuell. Die Entscheidung der beiden sei vor Ostern gefallen, so Baerbock.

Die studierte Völkerrechtlerin hat sich durch Detailkenntnisse in Klimafragen und europapolitischen Themen einen Namen gemacht. Der Schriftsteller und studierte Philosoph Habeck war zuletzt durch Unkenntnisse über die Pendlerpauschale und bei der Zuständigkeit der deutsche Finanzaufsicht Bafin aufgefallen.


Kanzlerkandidatin ohne Regierungserfahrung 

Anders als Habeck, der in Schleswig-Holstein Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident war, besitzt Baerbock allerdings keine Regierungserfahrung. Seit September 2013 sitzt sie im Bundestag und war in den Sondierungsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 mit Union und FDP Koordinatorin der Sondierungsgruppe Europa sowie Mitglied der Sondierungsgruppen Klima, Energie, Umwelt und Landwirtschaft, Verbraucherschutz.

"Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung, für den Status Quo stehen andere", erklärte Baerbock. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Land einen Neuanfang braucht, um gut durch dieses neue herausfordernde Jahrzehnt zu kommen. Mit diesem auf Sicht fahren - das haben wir schon immer so gemacht, wenn es dann doch sein muss, dann drehen wir halt noch ein Stellschräubchen weiter - kommen wir nicht weiter."

Sie biete eine vorausschauende Politik an, die etwas Neues wage, den Menschen zuhöre und ihnen auch etwas zutraue, sagte Baerbock.


In Umfragen zweitstärkste Partei 

Zwischen Baerbock und Habeck hat es im Vorfeld der Entscheidung keine öffentlichen Grabenkämpfe gegeben. Ungewöhnlich geräuschlos haben beide die früher streitfreudige Partei seit 2018 geführt. Habeck hatte zuvor deutlich gemacht, dass Baerbock die Kandidatur zustünde: "Wenn Annalena Baerbock als Frau sagen würde, ich mache es, weil ich eine Frau bin und die Frauen haben das erste Zugriffsrecht - dann hat sie es, natürlich", sagte Habeck.

Baerbock ist in der Bundesrepublik die zweite Frau nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich als Kanzlerkandidatin bewirbt.

Umfragen sehen die Grünen aktuell als zweitstärkste Partei hinter der Union. Damit stehen die Chancen gut, dass die Grünen nach der Bundestagswahl Ende September Teil eines Regierungsbündnisses werden - entweder als Juniorpartner in einer Koalition mit der Union oder sogar als stärkste Kraft mit Hoffnung auf das Kanzleramt im einer Ampelkoalition mit der SPD und der FDP.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gratulierte Baerbock zur Nominierung. "Ich freue mich auf einen spannenden und fairen Wettstreit um das beste Konzept für die Zukunft unseres Landes", erklärte Scholz auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Nach einer am Sonntag veröffentlichen Umfrage des Instituts Kantar liegen die Grünen bei 22 Prozent, die Union bei 29 Prozent, die SPD bei 15 Prozent und die AfD bei 11 Prozent. Die FDP kommt auf 9 Prozent, gefolgt von den Linken mit 8 Prozent.

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April 19, 2021 06:02 ET (10:02 GMT)