--Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt um 2,2 (Prognose: 1,9) Prozent

--Frankreich und Italien überraschen positiv, Deutschland negativ

--Inflation egalisiert Rekordwert von Juli 2008

(NEU: Zusammenfassung mit Kommentaren von Bankvolkswirten)

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Das Wirtschaftswachstum im Euroraum hat sich im dritten Quartal dank eines von Corona-Abwehrmaßnahmen weitgehend befreiten Dienstleistungssektors deutlicher als erwartet verstärkt. Zugleich nahm aber auch die Inflation stärker als erwartet zu und erreichte im Oktober den höchsten Stand seit 2008. Laut Mitteilung von Eurostat stieg das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem zweiten Quartal um 2,2 Prozent, während Volkswirte einen Zuwachs von nur 1,9 Prozent prognostiziert hatten. Während das Wachstum Deutschlands negativ überraschte, fiel es in Frankreich und Italien besser als erwartet aus. Die Verbraucherpreise stiegen mit einer Jahresrate von 4,1 Prozent, erwartet worden waren 3,7 Prozent.

Das Wirtschaftswachstum des Euroraums hat nach Aussage von KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib einen kräftigen Schub vom Dienstleistungssektor bekommen, während zugleich gestörte Lieferketten in der Industrie die Produktion weniger belasteten als in Deutschland. "Damit ist das Vorkrisenniveau in greifbare Nähe gerückt - allerdings sind die Potenziale für schnelle Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage mit der Aufhebung der meisten Corona-Maßnahmen nun gehoben", schrieb Köhler-Geib in einem Kommentar.


   KfW: Jahresendspurt fällt dieses Jahr im Euroraum aus 

Zudem werde die Erholung von einer unguten Kombination aus der rapiden Verteuerung der Energie, anhaltenden Knappheiten und lokalen Infektionswellen unterschiedlicher Stärke ausgebremst. "Ein Jahresendspurt beim Wachstum wird deshalb ausfallen." Thomas Gitzel, der Chefvolkswirt der liechtensteinischen VP Bank sieht des Euroraum gar in einer Stagnation.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist da etwas optimistischer. Laut einer von ihr vom 4. bis 13. Oktober erstellten Umfrage unter 68 führenden Unternehmen gibt es Anlass zu glauben, dass volle Auftragsbücher für einige Monate oder sogar Quartale die Produktion des verarbeitenden Sektors stützen werden. Die mit der Industrie verbundenen Dienstleister dürften von einer weiteren Lockerung der Reisebeschränkungen profitieren.

Allerdings sorgt der jüngste Anstieg der Energiepreise laut EZB für zusätzliche Unsicherheit hinsichtlich der Produktion in energieintensiven Industrien. Außerdem könnte eine höhere Inflation das verfügbare Einkommen und die Endverbrauchernachfrage dämpfen. "Die Unterbrechungen der Versorgungsketten dürfte noch einige Monate andauern, bevor sie im Laufe des Jahres 2022 allmählich abklingen", so die EZB.


   Professional Forecasters erwarten 2021 Wachstum von 5,1 Prozent 

Auch die regelmäßig von der EZB befragten Professional Forecasters zeigten sich optimistisch für die Wachstumsaussichten. Ihre BIP-Prognose für 2021 hoben sie auf 5,1 (Juli-Prognose: 4,7) Prozent an.

Deutschlands BIP legte im dritten Quartal lediglich um 1,8 Prozent zu - erwartet worden waren 2,1 Prozent - was nach Meinung von Unicredit-Volkswirt Andreas Rees mit dessen Abhängigkeit von Lieferketten zu tun hat. "Fast 90 Prozent der deutschen Hersteller beklagen Lieferengpässe und schränken ihre Produktion ein, in Frankreich sind es rund 40 Prozent und in Italien nur etwa 20 Prozent", schrieb Rees.

Erst wenn sich die Transportaktivitäten und die globalen Wertschöpfungsketten wieder normalisiert hätten, wird sich der Nachholbedarf endgültig entladen, prognostiziert er, und zwar irgendwann im weiteren Verlauf des nächsten Jahres.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht davon aus, dass das deutsche Wirtschaftswachstum im vierten Quartal von strengeren Corona-Regeln belastet werden wird. "Wir rechnen weiter damit, dass die G2-Regeln kommen, womit das Fünftel der erwachsenen Deutschen, die nicht geimpft sind, von vielen kontaktintensiven Dienstleistungen ausgeschlossen wäre", prognostizierte Krämer. Außerdem könnte der Kreis der betroffenen Unternehmen wie Mitte Dezember 2020 auf den Einzelhandel ausgedehnt werden.


   Frankreichs BIP steigt um 3,0 (Prognose: 2,1) Prozent 

Das französische BIP erreichte nach einem Anstieg um 3,0 (Prognose: 2,1) Prozent wieder das Vor-Corona-Niveau. Ausschlaggebend war auch hier der private Konsum vor allem von Dienstleistungen, die aufgrund von Corona zuvor nur begrenzt verfügbar gewesen waren.

Italiens Wirtschaft wuchs um 2,6 (Prognose: 2,0) Prozent und profitierte ebenfalls vor allem vom privaten Konsum und vom Tourismus. Im Unterschied zu Deutschland leistete hier wohl auch die Industrie einen positiven Wachstumsbeitrag. Spaniens Wirtschaft, dessen Dienstleistungssektor seinen Output um 3,2 Prozent steigerte, wuchs um 2,0 (Prognose: 2,5) Prozent.

Der Inflationsdruck im Euroraum verstärkte sich im Oktober erneut deutlicher als erwartet, mit 4,1 Prozent wurde der Rekordwert aus dem Juli 2008 egalisiert. Damit ist das Ende der Fahnenstange aber wohl noch nicht erreicht. "Im November dürfte die Inflationsrate den Hochpunkt erreichen", prognostizierte Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil. Für Anfang 2022 rechnet er jedoch mit einem deutlichen Rückgang der Rate.


   Kerninflation legt unerwartet auf 2,1 (Prognose: 1,9) Prozent zu 

Das würde dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) vertretenen Szenario einer baldigen Normalisierung der Inflation in Richtung 2 Prozent entsprechen. Die Nordea-Analysten Anders Svendsen und Tuuli Koivu weisen darauf hin, dass auch die Kerninflation unerwartet gestiegen ist, und zwar auf 2,1 Prozent.

"Die Kerninflation ist durch die niedrige Basis aufgrund der deutschen Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres erhöht und wird zu Beginn des Jahres sinken", meinen sie. Der Anstieg der Dienstleistungspreise könnte jedoch ein Zeichen für eine Anspannung auf den Arbeitsmärkten sein.

(Mitarbeit: Maria Martinez und Andreas Plecko)

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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October 29, 2021 07:58 ET (11:58 GMT)