-- Nettokreditaufnahme um 87,3 Milliarden niedriger als budgetiert

-- Scholz betont gute Verfassung der Wirtschaft

-- Grüne üben Kritik und fordern Investitionsfonds

(NEU: mehr Scholz, Reaktionen)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der Bund hat im abgelaufenen Jahr 2020 deutlich weniger Neuschulden gemacht als ursprünglich geplant. Wie aus Angaben des Bundesfinanzministeriums hervorgeht, belief sich die Nettokreditaufnahme auf 130,5 Milliarden Euro - 87,3 Milliarden weniger als die ursprünglich veranschlagten 217,8 Milliarden Euro.

"Unsere entschlossene Hilfspolitik wirkt", stellte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) fest. Die wirtschaftliche Entwicklung sei besser, die Arbeitsplatzverluste seien geringer, die Steuereinnahmen seien höher und die Neuverschuldung sei deutlich niedriger als zeitweise prognostiziert wurde. "Trotz der Pandemie haben wir die Finanzen gut im Griff", betonte Scholz. "Wir haben die Kraft, weiter massiv gegen die Corona-Krise zu halten, und genau das tun wir." Bei den Hilfen sattle man noch drauf, um nach der Krise wieder kraftvoll durchzustarten.

Scholz betonte die vergleichsweise gute Verfassung der deutschen Wirtschaft. Bei anderen großen Volkswirtschaften in Europa sei die Wirtschaftsleistung "doppelt so stark" eingebrochen wie in Deutschland, hob er hervor. Deshalb habe der Bund auch weniger neue Schulden aufnehmen müssen. "Das gibt uns natürlich nun neue und weitere Handlungsmöglichkeiten", erklärte er.


Grüne sehen keinen Grund zum Jubeln 

Die Opposition übte allerdings Kritik. "Die geringere Kreditaufnahme war erwartbar und ist nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln", erklärte Grünen-Haushaltssprecher Sven-Christian Kindler. Sie sei auch ein Ausdruck dafür, dass die Wirtschaftshilfen nur schleppend bei den Unternehmen ankämen, die sie dringend brauchten. "Zuviel Bürokratie, lange Bearbeitungszeiten und ein Wirrwarr an Regeln führt dazu, dass viele Unternehmen die Hilfen nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie helfen würden."

Niedrige Zinsen und eine im internationalen Vergleich der Industrieländer niedrige Staatsschuldenquote zeigten, "dass auch mit hoher Kreditaufnahme die deutschen Finanzen dauerhaft stabil sind". Damit das so bleibe, müsse massiv investiert werden. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um einen großen Investitionsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre aufzulegen. Dafür solle die Schuldenbremse reformiert werden, um Nettoinvestitionen zukünftig über Kredite zu finanzieren, forderte Kindler.

Vorbehalte wurden aber auch aus den Reihen der Koalition laut. "Das bedeutet Licht und Schatten zugleich", betonte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg. Erfreulich sei, dass sich in den Zahlen die bessere Wirtschaftsentwicklung niederschlage. Auch Länder und Kommunen profitierten davon. Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt - Bundesagentur für Arbeit, Grundsicherung für Arbeitssuchende - lägen um rund 11 Milliarden Euro niedriger als geplant.

Trotzdem werde es eine große Herausforderung, den Haushalt 2022 ohne die erneute Ausnahme von der Schuldenbremse auszugleichen. Auch sei es kein Grund zur Freude, dass die Wirtschaftshilfen kaum abgeflossen seien. Auch in den Sondervermögen zum Klimaschutz, zur Digitalisierung und zum Kita-Ausbau seien die Abflüsse weiterhin gering. "Hier müssen in diesem Jahr endlich die Bremsen gelöst werden", forderte Rehberg.


Deutlich mehr Steuereinnahmen 

Die Ausgaben fielen nach den Angaben des Finanzministeriums 2020 mit 443,4 Milliarden um 65,1 Milliarden Euro geringer aus als geplant. Bei den Einnahmen ergab sich gegenüber dem Soll ein Plus von 22,2 Milliarden auf 313,0 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen lagen mit 283,3 Milliarden um 18,8 Milliarden Euro über der Planung.

Von den nicht abgeflossenen Investitionsausgaben entfielen den Angaben zufolge 15 Milliarden auf drei als investiv verbuchte Posten: 6 Milliarden auf eine wegen eines laufenden EU-Beihilfeverfahrens noch nicht erfolgte Eigenkapitalaufstockung der Bahn, 6,5 Milliarden auf geringere Gewährleistungsausgaben wegen nicht eingetretener Kreditausfälle und 2,5 Milliarden Euro weniger für ein Liquiditätsdarlehen an die Bundesagentur für Arbeit von nun 6,9 Milliarden Euro.

Das strukturelle Defizit lag 2020 pandemiebedingt bei 1,52 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und damit deutlich über den von der Schuldenbremse erlaubten 0,35 Prozent. "Gegenüber unseren Planungen hat sich die Situation verbessert", betonte ein hochrangiger Beamter aus Scholz' Ministerium. Das strukturelle Defizit sei deutlich geringer als im Budgetplan unterstellt. Dies hat den Angaben zufolge Auswirkungen auf den Tilgungsplan. Bei nun rund 39 Milliarden Euro strukturellem Defizit ergibt sich über 20 Jahre eine jährliche Tilgungsleistung von rund 2 Milliarden Euro.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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January 19, 2021 09:27 ET (14:27 GMT)