Zürich (awp) - Laut einer Analyse des Beratungsunternehmens Alvarez & Marsal könnten zwölf börsenkotierte Schweizer Unternehmen in diesem oder im nächsten Jahr zum Ziel von aktivistischen Aktionären werden. Das ist eines mehr, also noch im letzten Jahr vermutet wurde.

Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass bis im Mai 2024 aktivistische Aktionäre bei diesen zwölf Unternehmen, deren Namen nicht genannt wird, einsteigen, teilte Alvarez & Marsal am Mittwoch mit. Somit hat sich die Möglichkeit solcher aktivistischen Kampagnen leicht erhöht - im Vorjahr hatte das Beratungsunternehmen noch 11 mögliche Ziele identifiziert.

Die Schweizer Unternehmen seien im internationalen Vergleich weniger erfolgreich bei der Maximierung der Aktionärsrendite und der Erhöhung der Betriebs- und Cashflow-Margen, schreiben die Autoren. Darum dürften diese Bereiche im Mittelpunkt des Interesses von aktivistischen Investoren stehen. Zudem erwartet A&M, dass Industrie-, Technologie-, Konsumgüter-, Gesundheits- und Materialunternehmen - "und zwar in dieser Reihenfolge" - im Fokus stehen werden.

Nicht zuletzt führt den Autoren zufolge die Reform des Schweizer Gesellschaftsrechts, die Anfang Jahr in Kraft getreten ist, zu attraktiveren Bedingungen für den Einstieg von Aktivsten. Denn neuerdings braucht es zum Beispiel für die Einberufung einer ausserordentlichen GV nicht mehr 10, sondern nur noch 5 Prozent der Stimmrechtsanteile. Auch um ein Traktandum für die Versammlung zu beantragen, braucht es weniger Stimmen.

2022 mehr aktivistische Aktivitäten

Die Autoren blicken auch auf das vergangene Jahr zurück und halten fest, dass die Einstiege aktivistischer Aktionäre in den ersten neun Monaten 2022 im Schweizer Markt zugenommen hat. Sie führen das teilweise auf den (Wieder-)Einstieg aktivistischer Fonds wie Petrus Advisers oder Third Point Partners zurück. Petrus Adivsers hat bekanntlich beim Software-Unternehmen Temenos im letzten Jahr für einigen Wirbel gesorgt und unter anderem den Rücktritt des Firmenchefs gefordert, was dann vor rund zwei Wochen tatsächlich geschehen ist.

Der als besonders aggressiv geltende Hedgefonds Third Point war in der Vergangenheit unter anderem bei Nestlé aktiv und engagiert sich heute auf internationaler Bühne beispielsweise bei Disney. 2021 gab es Gerüchte, dass der Fonds des US-Investors Dan Loeb bei Adecco und Richemont eingestiegen ist.

Bei dem Genfer Luxusgüterkonzern sorgte im letzten Jahr allerdings vor allem Bluebell für Schlagzeilen. Nachdem der aktivistische Aktionär beim Familienunternehmen eingestiegen war, schlug er unter anderem einen Verwaltungsrat aus den eigenen Reihen vor und wollte die Macht der Besitzerfamilie beschneiden. Der vorgeschlagene Verwaltungsrat blieb an der GV allerdings chancenlos.

Aussergewöhnliche Entwicklung in der Schweiz

Während es in der Schweiz gemäss der Analyse derzeit mehr Ziele für aktivistische Investoren gibt, hat ihre Zahl europaweit gesehen abgenommen. Im gesamten europäischen Raum seien noch 144 Unternehmen sehr anfällig für eine aktivistische Kampagne in den nächsten anderthalb Jahren. Im Bericht vor einem Jahr waren es noch 155 Firmen gewesen.

Die Autoren erklären sich das durch eine Kombination aus Inflation, Rezession sowie der energie- und geopolitischen Krise. Sobald sich die wirtschaftlichen Unsicherheiten gelegt haben, rechnen sie allerdings wieder mit einer Zunahme des Aktionärsaktivismus.

Ein Grund dafür ist A&M zufolge auch die allgemeine Zunahme von aktivistischen Fonds. Deren Zahl stieg von 89 im Jahr 2020 auf 93 im Jahr 2021 und auf 96 im vergangenen Jahr. Die neuen Fonds kämen vermehrt aus Europa, insbesondere aus Grossbritannien, während der Anteil der US-Fonds zurückgehe. Zudem nehme eine "kleine, aber wachsende Zahl von Fonds mit Sitz im asiatisch-pazifischen Raum" neu vermehrt europäische Unternehmen ins Visier.

Nachhaltigkeit im Fokus

"Aktivistische Fonds und ihre Taktiken werden vermehrt von Shareholdern europäischer Unternehmen akzeptiert, da ihre Herangehensweise als konstruktiv wahrgenommen wird und sie sich für Nachhaltigkeit einsetzen", erklären die Autoren.

Sie gehen darum auch davon aus, dass Kampagnen in den Bereichen Umwelt und Soziales zunehmen dürften. Diese hätten 2022 um rund einen Fünftel zugenommen. Als Beispiel nennen die Autoren die Kampagne von Bluebell bei Glencore. Der Aktionär fordert, dass der Rohstoffkonzern seine Braunkohleanlagen verkauft.

tv/bol