ISTANBUL/MOSKAU/SAO PAULO (dpa-AFX) - Die Suche nach Rendite in Zeiten historisch niedriger Zinsen lockt Anleger oft in die Schwellenländer. Aktuell aber sorgen unter anderem der US-Handelsstreit mit China und die Türkei-Krise für Verunsicherung, so dass einige Investoren ihr Geld lieber erst mal in den USA parken. Dort rentieren die als sicher geltenden, zehnjährige Staatsanleihen mittlerweile mit knapp 3 Prozent. Angesichts dieser Anlagealternative gerieten in den aufstrebenden Ökonomien nicht nur die lokalen Währungen, sondern auch viele Aktienmärkte ins Taumeln.

DAS PASSIERT IN DEN SCHWELLENLÄNDERN:

Derzeit bewegt vor allem der jüngste, drastische Wertverfall der türkischen Lira die Gemüter. Die Notenbank in Ankara wagte es selbst auf dem Höhepunkt der Lirakrise nicht, zum Notfallmittel einer Zinserhöhung zu greifen - obwohl die Inflation extrem hoch ist und eine Überhitzung der Wirtschaft droht.

Auch andere Schwellenländer haben mit internen Problemen zu kämpfen. Russland etwa leidet unter den US-Sanktionen. Hintergrund ist das Attentat auf den in Großbritannien lebenden ehemaligen russischen Agenten Sergej Skripal.

In Südamerika steckt Brasilien in einer schweren Krise. Durch die jüngsten Korruptionsskandale ist fast die gesamte politische Klasse diskreditiert. Nach einer schweren Rezession erholt sich die Wirtschaft nur langsam.

Politische Skandale haben lange Zeit auch Südafrika erschüttert. Seit dem Amtsantritt von Präsident Cyril Ramaphosa im Februar aber hat sich die Stimmung in der Wirtschaft merklich gebessert.

DAS SAGEN DIE EXPERTEN:

Analyst Emmanuel Cau von der britischen Investmentbank Barclays sieht die Schwellenländer anfällig für weitere Gewinnmitnahmen. Dabei zählten die Emerging Markets bereits - neben Europa - zu den beiden Regionen, deren Börsen sich seit Jahresanfang am schwächsten entwickelt hätten. Allerdings verzeichneten Schwellenländer-Aktienfonds weiterhin Zuflüsse.

Als ein Belastungsfaktor für die Schwellenländer wird auch die oft hohe Verschuldung der Unternehmen und Staaten genannt. Sie kann zum Problem werden, wenn der US-Dollar weiter steigt und die Schuldner ihre in Dollar aufgenommenen Kredite nicht mehr bedienen können. Geoffrey Wong, Leiter Aktien Schwellenländer und Asien beim Vermögensverwalter UBS Asset Management, weist allerdings darauf hin, die Währungsreserven der Staaten und die in der Regel kaum problematischen Kredite zwischen ausländischen Mutterkonzernen und lokalen Töchtern gegenzurechnen. Bereinigt um diese Größen seien insbesondere die Aktienmärkte der Netto-Schuldner Argentinien, Kolumbien und Türkei anfällig für Kursverluste. Argentiniens Präsident Mauricio Macri hatte kürzlichden Internationalen Währungsfonds (IWF) gebeten, bereits vereinbarte Hilfen des IWF frühzeitig an sein Land auszuzahlen.

Generell bleibt Experte Wong trotz der aktuellen Turbulenzen zuversichtlich: "Die Schwellenländer insgesamt befinden sich am Anfang eines mehrjährigen Investitionszyklus". Insofern dürfte die Auslastung der Firmen in Ländern wie Vietnam wieder steigen, die angesichts niedriger Löhne Kostenvorteile haben. Punkten könnten auch Staaten wie Malaysia, deren Bevölkerung über ein relativ hohes Bildungsniveau verfüge, sagte Wong.

Auch Seema Shah, Anlagestrategin beim Vermögensverwalter Principal Global Investors, äußerte sich auf lange Sicht positiv: "Im deutlichen Gegensatz zur Türkei und zu den Bedingungen der Asienkrise Ende der 1990er Jahre weisen viele Schwellenländer heute Leistungsbilanzüberschüsse oder nur geringe Defizite aus." Das heißt, die Staaten exportieren in der Regel mehr Waren und Dienstleistungen als sie importieren. Portfoliomanager Chetan Sehgal von Franklin Templeton strich zudem heraus, dass sich insgesamt die Ertragskraft und der Mittelzufluss der Unternehmen weiter verbesserten.

SO HABEN SICH DIE AKTIENMÄRKTE ENTWICKELT:

Der viel beachtete Schwellenländer-Sammelindex MSCI Emerging Market liegt seit Jahresbeginn gerechnet knapp 8 Prozent im Minus. Die Börsen der einzelnen Länder aber haben sich in diesem Zeitraum recht unterschiedlich entwickelt. So hat der türkische Leitindex ISE 100 mehr als 19 Prozent verloren. Unter Druck steht auch der in US-Dollar notierte, Moskauer RTS-Index mit einem Minus von rund 6 Prozent. Auf Basis der jeweiligen Landeswährungen liegen hingegen die Börsen im brasilianischen Sao Paulo und im südafrikanischen Johannesburg moderat im Plus.

Unter den weniger stark von ausländischen Zuflüssen abhängigen Schwellenländern verzeichnet der CSI-300-Index mit den 300 wichtigsten Werten der chinesischen Festlandsbörsen derzeit ein Minus von knapp 17 Prozent. Der indische Sensex wiederum zog bis dato um gut 13 Prozent an./la/jkr/jha/