Frankfurt (Reuters) - Die Furcht vor einer Energiekrise in Europa und ihren wirtschaftlichen Folgen hat die Börsen fest im Griff.

Die Diskussion um ein Verbot russischer Energie-Lieferungen trieb den europäischen Erdgaspreis am Montag auf ein Rekordhoch. Die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee setzte zum Sprung über die bisherige Bestmarke von 2008 an.

"Bei einem Verbot von Energie-Importen werden wir kurzfristig in eine Situation kommen, in der die Regierungen bestimmte Rohstoffe rationieren müssen", warnte Elwin de Groot, Chef-Anlagestratege der Rabobank. Daraufhin fielen Dax und EuroStoxx50 um drei Prozent auf 12.709 beziehungsweise um zwei Prozent auf 3484 Punkte. Die Terminkontrakte auf die US-Indizes büßten etwa 1,5 Prozent ein.

"Es wächst die Furcht, dass der Konflikt die Weltwirtschaft, die sich bereits jetzt mit der Überwindung der Pandemie-Folgen schwer tut, belastet", sagte Kunal Sawhney, Chef des Research-Hauses Kalkine. Die Hoffnung auf eine kräftige Konjunkturerholung schwänden. Von den Notenbanken sei keine Hilfe zu erwarten, warnte Anlagestratege Jürgen Molnar vom Brokerhaus RoboMarkets. "Im besten Fall halten sie die Füße still, statt wie angekündigt die Zinsen zu erhöhen."

ROHSTOFFPREISE KENNEN KEIN HALTEN

Wegen der Embargo-Diskussion steuerte der europäische Erdgas-Future mit einem Plus von 63,4 Prozent auf den größten Tagesgewinn seiner Geschichte zu und notierte mit 335 Euro je Megawattstunde so hoch wie nie. Der Preis für die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee sprang um knapp 20 Prozent nach oben und erreichte mit 139,13 Dollar je Barrel (159 Liter) ein 13-1/2-Jahres-Hoch. "Bei einer Sanktion sämtlicher russischer Energie-Exporte würde mich ein Brent-Preis von mehr als 200 Dollar nicht überraschen", sagte Volkswirt Howie Lee von der Bank OCBC.

Bei anderen Rohstoffen seien ebenfalls panikartige Käufe zu beobachten, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. So stieg der Preis für Palladium zeitweise um fast 15 Prozent auf ein Rekordhoch von 3440,76 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) und stand vor dem drittgrößten Tagesgewinn seiner Geschichte. "Russland steht für 38 Prozent der weltweiten Palladiumproduktion", sagte Commerzbank-Analyst Daniel Briesemann. "Lieferausfälle könnten nicht anderweitig aufgefangen werden."

Parallel dazu verbuchte das bei der Stahl-Herstellung eingesetzte Nickel einen Rekord-Kurssprung von gut 31 Prozent und notierte mit 38.000 Dollar je Tonne so hoch wie zuletzt vor fast 15 Jahren. "Das Angebot war ohnehin schon knapp", sagte Kalkine-Experte Sawhney. "Wenn ein großer Lieferant ausfällt, löst das einen Kaskadeneffekt aus."

Der Höhenflug des Weizenpreises ging ebenfalls weiter: Der europäische Future steigt um 14 Prozent auf ein Rekordhoch von 424 Euro je Tonne. "So lange die Kämpfe in der Ukraine nicht enden, ist eine Wiederaufnahme der Exporte aus Russland und der Ukraine nicht zu erwarten", sagt ein Börsianer. Da die Abnehmer nun verzweifelt auf der Suche nach anderen Quellen seien, drohten Ausfuhr-Beschränkungen anderer Produzenten. Ungarn hat Weizen-Exporte bereits mit sofortiger Wirkung verboten.

BANKEN UND EURO UNTER DRUCK - FRANKEN UND GOLD IM AUFWIND

Spekulationen auf Geschäftseinbußen wegen der drohenden Rezession schickten die heimischen Finanzwerte auf Talfahrt. Der Index für die Banken der Euro-Zone viel um fast zehn Prozent, so stark wie zuletzt beim Börsen-Crash vom März 2020. Besonders hart trifft es Institute mit einem großen Russland-Engagement. Die Titel der Raiffeisen Bank, der Societe Generale (SocGen) und der HypoVereinsbank-Mutter Unicredit verbuchten jeweils zweistellige prozentuale Kursverluste.

Unter Druck geriet auch der Euro, der um bis zu ein Prozent auf ein Zwei-Jahres-Tief von 1,0804 Dollar fiel. Wegen der Konjunkturrisiken werde sich die Europäische Zentralbank (EZB) bei ihrer Sitzung am Donnerstag ihre Wertpapierkäufe voraussichtlich über das zweite Quartal hinaus fortsetzen und damit eine mögliche Zinserhöhung weiter nach hinten verschieben, prognostizierte Volkswirt Tapas Strickland von der National Australia Bank.

Die Flucht in "sichere Häfen" drückte den Euro zudem erstmals seit sieben Jahren unter die Parität zum Schweizer Franken. Gold war ebenfalls gefragt. Für heimische Anleger war das Edelmetall mit 1850,67 Euro je Feinunze so teuer wie nie. Inflationsgeschützte Staatsanleihen standen ebenfalls hoch im Kurs. Dies drückte die Renditen der zehnjährigen Titel aus Deutschland und Frankreich auf Rekordtiefs von minus 2,513 beziehungsweise minus 2,272 Prozent.