Shanghai/Peking (Reuters) - Die regierungskritischen Proteste in China gegen die Corona-Politik von Präsident Xi Jinping sind abgeflaut.

In Peking und Shanghai waren am Montag keine Demonstranten zu sehen. Wo am Wochenende Bürger Parolen skandiert und als Zeichen des Protestes weiße Blätter hoch gehalten hatten, patrouillierten Dutzende Polizisten. Sie kontrollierten die Handys von Passanten und prüften, ob darauf die in China blockierte Telegram-App oder verbotene VPN-Software installiert war, um Internetzensur zu umgehen. Die Ereignisse vom Wochenende belasteten nicht nur die chinesischen Börsen, sondern auch die Aktien- und Rohstoffmärkte in Europa und den USA.

In den großen chinesischen Städten waren am Montag auch Streifenwagen und Polizeimotorräder im Einsatz. Im Zentrum von Shanghai wurden einige Straßen mit blauen Metallgittern abgesperrt, um Zusammenkünfte zu unterbinden. Läden und Cafes seien gebeten worden zu schließen, sagte ein dort Angestellter der Nachrichtenagentur Reuters. In den staatlichen Medien wurden die Proteste vom Wochenende nicht erwähnt. Stattdessen wurde die Bevölkerung in Kommentaren aufgerufen, die Anti-Corona-Maßnahmen umzusetzen. Die Behörden meldeten mehr als 40.000 Neuinfektionen, die höchste Zahl binnen Tagesfrist seit dem Ausbruch der Pandemie.

"ENTSPRICHT NICHT DEM, WAS WIRKLICH PASSIERT IST"

In China gibt es seit Monaten wachsenden Unmut gegen die Null-Corona-Politik der Regierung, die sich insbesondere auf vergleichsweise lange, strenge Lockdowns stützt. Am Wochenende erreichten die Proteste eine noch nie gesehene Intensität und weiteten sich auf mehrere Städte aus. Augenzeugen und unbestätigten Video-Aufnahmen zufolge richtete sich die Kritik zum Teil auch gegen Xi wie auch gegen die Kommunistische Partei. Öffentliche Proteste gegen die Regierung und Xi sind selten in China, wo Überwachungsmaßnahmen das öffentliche Leben begleiten. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking erklärte am Montag auf eine Frage nach den Vorgängen: "Was Sie beschrieben haben, entspricht nicht dem, was wirklich passiert ist."

Der britische Außenminister James Cavalli rief die Regierung in Peking dagegen auf, die Proteste zur Kenntnis zu nehmen. "Das sind die Stimmen der Chinesen, die zu ihrer Regierung sprechen", sagte er. Die Regierung tue gut, auf sie zu hören. In Deutschland nannte Grünen-Co-Chef Omid Nouripour die Demonstrationen überraschend. "Das ist beeindruckend und ungewöhnlich zu sehen, dass es die Proteste gibt und dass es diese Slogans gibt", sagte er. "Die Bilder zeugen von Mut und von Verzweifelung von sehr vielen Menschen."

"LANGSAM, SCHRITTWEISE UND CHAOTISCH"

Befürworter der chinesischen Corona-Politik erklären, diese habe die Zahl der Toten während der Pandemie in einem Land mit als eine Milliarde Einwohnern im Bereich einger Tausend gehalten, während Staaten wie die USA mehr als eine Million Todesopfer verzeichnet haben. Allerdings führen die Lockdowns zu einer massiven Belastung der Bevölkerung. Eine Abkehr von der Politik würde zudem bedeuten, eine von Xi unterstützte Strategie aufzugeben. Experten weisen weiter darauf hin, dass in China eine vergleichsweise geringe Immunität gegen das Corona-Virus besteht. Eine große Infektionswelle könnte in dem Land mit Hunderten Millionen älterer Bürger die Krankenhäuser überlasten.

Beobachter werteten die Proteste am Montag zwar nicht als Bedrohung für die kommunistische Führung, sagten jedoch schwierige Zeiten voraus. "Die Demonstrationen stellen keine unmittelbare Bedrohung für die bestehende politische Ordnung dar", erklärten Analysten von Gavekal Dragonomics. "Aber sie bedeuten, dass der derzeitige Covid-Politik-Mix politisch nicht mehr tragbar ist." Die Frage sei nun, wie die Abkehr des Landes von den Maßnahmen ablaufen werde. "Die Antwort lautet: Langsam, schrittweise und chaotisch."

AUCH FOLGEN FÜR DEUTSCHE UNTERNEHMEN

Die wiederholten Lockdowns in der zweitgrößten Volkswirtschaft stellen seit Monaten auch eine Belastung und einen Unsicherheitsfaktor für die weltweite Konjunktur dar. Einem Medienbericht zufolge droht etwa Apple in diesem Jahr aufgrund von Produktionsproblemen ein Ausfall von sechs Millionen iPhone-Pro-Geräten. Dem Konzern machen vor allem Unruhen im größten iPhone-Werk des Zulieferers Foxconn zu schaffen. Nicht nur die weltweiten Aktienmärkte, auch der Öl- und Kupfer-Preis gaben zum Wochenauftakt unter dem Eindruck der Proteste nach.

Auch deutsche Unternehmen bleiben der Wirtschaft zufolge nicht verschont. "Die wirtschaftlichen Konsequenzen in Bezug auf Vorprodukte, funktionierende Produktion, inländischen Lieferketten und vor allem Konsumvertrauen werden spürbarer", sagte das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer (AHK) in Peking, Jens Hildebrandt, Reuters. "Manche deutsche Unternehmen sind von plötzlichen kurzfristigen Schließungen betroffen, bei einigen bleiben die Mitarbeiter für Schichtbetrieb in den Fabriken wohnen, anderen fehlt es an Mitarbeitern, die zu Hause im Lockdown sitzen."

(Weitere Berichterstattung Jesse Pang; Geschrieben von Scot W. Stevenson; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Casey Hall und Martin Quin Pollard