BRÜSSEL (dpa-AFX) - Das Weisungsrecht von Landesjustizministern gegenüber Staatsanwälten ist nach Ansicht der EU-Kommission ein Schwachpunkt des deutschen Justizwesens. "Justizminister sind nun mal Politiker, deshalb ist die Versuchung für sie groß, politischen Einfluss auszuüben", sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova dem "Spiegel" (Samstag). "Generell gilt für Deutschland wie für alle EU-Länder: Je unabhängiger und effizienter die Justiz, desto besser."

In den kommenden Wochen will die EU-Kommission Rechtsstaatsberichte für alle EU-Staaten vorlegen. Darin wird erstmals systematisch der Zustand von Medienfreiheit, Demokratie und Korruptionsbekämpfung in den EU-Staaten untersucht.

Jourova kritisierte zudem die die Dauer von Gerichtsverfahren in Deutschland. "Auch wenn die Justiz in Deutschland grundsätzlich gut funktioniert, zeigt unser Bericht, dass Verfahren in erster Instanz immer länger dauern."

Ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist der Tschechin zufolge noch immer nicht vom Tisch. "Klar ist: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann so nicht stehen bleiben", sagte Jourova. "Wenn wir es einfach so akzeptierten, wäre das Wasser auf die Mühlen der Regierenden in Ungarn oder Polen. Die Folgen für die EU könnten zerstörerisch sein." Das Karlsruher Gericht hatte Anfang Mai die Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank beanstandet und damit den Vorrang des EU-Rechts infrage gestellt.

Die Rechtsstaatsberichte haben Jourova zufolge ebenfalls ergeben, dass unabhängige Medien in der EU zunehmen unter Druck geraten. Medien stünden in fast allen Ländern unter großem wirtschaftlichen Druck, etwa wegen sinkender Anzeigenerlöse oder Konkurrenz durch Plattformen wie Facebook und Google, sagte Jourova. "Dazu kommt die wachsende politische Einflussnahme, und zwar auch im Westen Europas, etwa in Malta oder Spanien." Besonders dramatisch sei die Lage jedoch in Ungarn, sagte Jourova. "Der Zustand der ungarischen Medienlandschaft ist alarmierend."

Sie könne sich vorstellen, mit dem EU-Wettbewerbsrecht gegen die Bildung staatsnaher Medienholdings oder -stiftungen wie in Ungarn vorzugehen. Bislang sei dies nicht möglich, da die Beträge in der Regel zu gering seien./wim/DP/nas