VW sitzt SAP im Nacken, Marktkommentar von Werner Rüppel zu
Börsenwerten
Frankfurt (ots) - Damit hat kaum ein Börsianer gerechnet: Mitte März ist es dem
Volkswagen-Konzern tatsächlich gelungen, den Softwareanbieter SAP hinsichtlich
des Börsenwerts zu überholen und zum wertvollsten deutschen Unternehmen
aufzusteigen. Angesicht der Stellung von SAP als einzigem Softwarekonzern
hierzulande, der es mit den großen internationalen Tech-Häusern aufnehmen kann,
war die Ablösung durchaus erstaunlich.

Inzwischen liegen die Walldorfer nach guten Zahlen für das erste Quartal sowie
einer Prognoseanhebung für das Gesamtjahr 2021 wieder knapp vorn. Die
Marktkapitalisierung von SAP beträgt Stand 16. April (Xetra-Schlusskurs) 143
Mrd. Euro, während Volkswagen auf 138 Mrd. Euro kommt. Der Wettstreit um das
wertvollste Unternehmen ist also eröffnet. Wobei es bei VW bekanntlich zwei
Aktiengattungen gibt: Die nicht im Dax vertretenen Stammaktien, deren
Kapitalisierung bei 87 Mrd. Euro liegt, und die im deutschen Leitindex
enthaltenen VW-Vorzugsaktien mit einem Börsenwert von 51 Mrd. Euro. Zu den
wertvollsten Firmen aus der Bundesrepublik zählen übrigens auch Linde (deren
Firmensitz inzwischen aber in Irland liegt), Siemens, Allianz und Daimler mit
aktuellen Börsenwerten von 127, 124, 90 und 83 Mrd. Euro.

Doch was sind die Gründe dafür, dass VW an der Börse auf einer Erfolgswelle
reitet und nach Marktkapitalisierung zu SAP aufgeschlossen hat? Was erklärt,
dass sich der Kurs der VW-Stammaktien seit Anfang Oktober verdoppelt hat und die
SAP-Notierung trotz Börsenhausse zurückfiel? Das sind im Grunde zwei
Geschichten. Die eine ist, dass SAP im Oktober 2020 mit einer Gewinnwarnung
überraschte, welche nicht zuletzt auch auf die Forcierung des zukunftsträchtigen
Cloud-Geschäfts zurückzuführen ist. Am Kapitalmarkt waren die Erwartungen an
den
Softwarekonzern hoch, was zu dem Kursabschlag führte.

VW, wie übrigens die gesamte deutsche Automobilindustrie, galt hingegen lange
Zeit als Vertreter der Old Economy, die den Wandel hin zur E-Mobilität
verschlafen hat. Viele Investoren sahen allein in Tesla Potenzial, was den Kurs
und die Bewertung des US-Konzerns in kaum für möglich gehaltene Höhen
getrieben
hat. Doch unverhofft kommt oft, vor allem am Kapitalmarkt. "VW war an der Börse
im vergangenen Jahr lange Zeit ein Underperformer und hat fundamental drei
enttäuschende Quartale hingelegt", erläutert Autoanalyst Jürgen Pieper vom
Bankhaus Metzler. "Darauf folgte zwischen Oktober und Dezember aber eine enorm
starke Geschäftsentwicklung." Dass es beim Mehrmarkenkonzern mit Sitz in
Wolfsburg brummt, zeigen auch die Absatzzahlen. Gerade hat die Sportwagentochter
Porsche gemeldet, dass die Zahl der Auslieferungen im ersten Quartal im
Vergleich zum Vorjahr um 36 % gestiegen ist. Und die zyklische Erholung der
Weltwirtschaft wird die Umsätze und Gewinne des großen Autobauers in diesem und
in den kommenden Jahren weiter befördern.

Darüber hinaus macht VW jetzt auf Tesla, will sich also vom traditionellen
Autohersteller in einen softwarefokussierten E-Marktführer verwandeln. So etwas
wie Microsoft und SAP also, aber nur für Autos. Mit dem Plan, bis 2030 sechs
Fabriken für Batterien in Europa zu errichten, sei der krisengebeutelte
VW-Konzern in die Offensive gegangen, meint Marc Decker, Leiter Fondsmanagement
bei Merck Finck. Der Umweltsünder von einst entwickle sich vom "Saulus zum
Paulus". 2025 könne VW Tesla beim Absatz von E-Autos überholen. Bei den Kursen
der deutschen Autobauer sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.

Hinzu kommt noch, dass Tesla mit einem Börsenwert von aktuell 583 Mrd. Euro und
einem für das Geschäftsjahr 2021 erwarteten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von
rund 170 extrem teuer ist. Dies hat Hedgefondsmanager bewogen, Tesla zu
verkaufen und VW-Aktien zu erwerben. Solche Wetten erscheinen auch jetzt noch
lukrativ. Das KGV von VW-Vorzügen für 2021 liegt unter 10, wie übrigens auch
das
von Daimler. Um günstig in Volkswagen einzusteigen, favo­risieren zahlreiche
Analysten auch Vorzugsaktien der Porsche SE. Denn Porsche hält als wesentliche
Beteiligung 53,3 % an den VW-Stammaktien, zudem dürften Porsche-Vorzüge im
September in den Dax 40 aufsteigen.

Doch wer wird künftig das wertvollste deutsche Unternehmen sein? Gelingt VW die
Wende hin zum weltweit führenden Elektroautohersteller, haben die Wolfsburger
durchaus Chancen, SAP auf Dauer zu überholen.

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