Immer tiefer und tiefer / Kommentar zur Entwicklung von
Peripherieanleihen von Kai Johannsen
Frankfurt (ots) - Am Staatsanleihenmarkt der Eurozone wird vermutlich schon in
den kommenden Handelstagen der nächste Meilenstein gesetzt. Wer sein Geld auf
der Iberischen Halbinsel anlegt, d.h. in spanischen oder portugiesischen
Staatsanleihen, wird entlang der Laufzeitenkurve bis hin zu zehn Jahren
Parkgebühren in Form negativer laufender Renditen bezahlen müssen. Denn sowohl
Spaniens als auch Portugals Zehnjahresbonds liegen bei der Rendite an der
Nulllinie. Das gab es bislang noch nie. Wohlgemerkt: Es handelt sich um
ehemalige Krisenstaaten, die heute Geld von Anlegern fürs Schuldenmachen
obendrauf bekommen. Es gab mal Zeiten, da wollte die internationale
Investorenschaft diesen Ländern nicht mal mehr für 7% Rendite einen Cent leihen.
Gut, das ist ja auch schon ein paar Jährchen her. Die Erinnerung verblasst.

Der Renditeabsturz in der Eurozonenperipherie in diesem Jahr ist enorm. Spaniens
Zehnjahressatz lag am 31.12.2019 bei 0,47%, stieg bis zum 18.März auf das
Jahreshoch von 1,23%, um dann bis Freitag der abgelaufenen Handelswoche bis auf
knapp unter 0,05% zu fallen. In Portugal das gleiche Bild: Von 0,45% am
Jahresultimo erfolgte bis zum 18. März der Anstieg auf 1,40%, um dann bis
Freitag auf 0,01% abzurutschen. Anleger, die in der Eurozonenperipherie bei zehn
Jahren Laufzeit noch eine positive laufende Rendite haben möchten, müssen
beispielsweise in Italien investieren, dort gibt es noch 0,56%, oder in
Griechenland. Bei Letzteren sind es dann noch 0,68%. Aber es ist wohl nur eine
Frage der Zeit, bis auch Hellenen und Italiener für zehn Jahre Laufzeit
Parkgebühren nehmen.

Den neuerlichen Schub nach unten erfuhren die Renditen abermals durch die
Europäische Zentralbank (EZB). Äußerungen aus den Reihen der
Zinsverantwortlichen werden immer wieder als sehr "dovish" aufgenommen, also
taubenhaft. Das bedeutet, dass in der Eurozone nicht mit raschen Zinserhöhungen
gerechnet werden kann. Die Märkte erwarten, dass es auf der Zinssitzung im
Dezember wo­möglich zu einer Ausweitung der Kaufprogramme für Anleihen kommen
wird. Das könnte in zeitlicher Form und volumenmäßig der Fall sein. Das
würde
bedeuten, dass die Währungshüter der Eurozone die wirtschaftliche Lage bedingt
durch die Covid-19-Pandemie noch schlechter einschätzen, als sie es bisher
ohnehin schon getan haben, und deshalb weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der
Wirtschaftskrise einleiten.

Durch neuerliche Käufe wird der Zentralbank-Put also noch größer. Die
Konsequenz
ist, dass die Bondanleger dort zugreifen, wo sie noch eine positive Rendite
bekommen. Das war bislang auch noch bei den portugiesischen und spanischen
Zehnjahresbonds der Fall. Durch die Käufe steigen die Kurse, die Renditen fallen
immer weiter ins Bodenlose. Die Anleger sind ja auch auf der sicheren Seite. Zum
einen kassieren sie Kursgewinne, zum anderen haben sie die Gewissheit, dass sie
die Papiere bei Kursrückgängen immer noch zur EZB durchreichen können. Das
Spiel
läuft seit Jahren.

Und somit werden auch die Crowding-out-Prozesse am Markt weitergehen. Kauft die
EZB immer weiter und treibt mit ihren Käufen die Renditen mit nach unten,
wandern die Anleger auf der Suche nach Rendite auf andere Marktsegmente bzw.
längere Laufzeiten aus mit dem Ergebnis, dass auch dort die Kurse steigen und
die laufenden Renditen fallen. Die Investoren gehen also immer mehr ins
Laufzeiten- und Kredit-, sprich Bonitätsri­siko.

Für die Emittenten ist das natürlich eine schöne Sache, schließlich gibt
es
Fremdkapital zu immer günstigeren Konditionen. Und welcher Finanzminister freut
sich nicht, wenn er für die Kreditaufnahme keine Zinsen bezahlen muss, sondern
im Gegenteil noch etwas bezahlt bekommt? Das spornt natürlich nicht zur
Schuldendisziplin an. Und solange die Anleger kräftig zugreifen, wird dieses
Spiel auch noch weitergehen. Das Ergebnis sind immer größer werdende
Schuldenberge. Diese werden zwar immer wieder mal auf Konferenzen thematisiert,
aber an den Märkten werden sie derzeit nicht als ein größerer Risikofaktor
wahrgenommen. Doch wenn das einmal der Fall wird, könnte schnell die Situation
entstehen, dass alle zur gleichen Zeit mit einem großen Koffer voller Anleihen
durch die gleiche Tür raus wollen. Das sollte man zumindest mal im Hinterkopf
behalten. Fragt sich nur, wann das einmal Realität werden könnte: Wenn alle
Länder der Eurozone entlang der gesamten Laufzeitenkurve im Minus liegen? Dann
hat der Markt noch eine schöne Kursrally vor sich.

(Börsen-Zeitung, 28.11.2020)

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/4776501
OTS:               Börsen-Zeitung