Amen / Kommentar zur EZB-Geldpolitik in Zeiten von Corona von Mark
Schrörs
Frankfurt (ots) - Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ihre bereits
beispiellos expansive Geldpolitik im Dezember erneut lockern. Das ist nach der
Sitzung gestern wohl so sicher wie das Amen in der Kirche. Tatsächlich haben die
Argumente für weitere Hilfen mit der erneut dramatischen Coronalage zugenommen.
Trotzdem ist es richtig, dass die EZB nicht übereilt zur Tat geschritten ist.
Sie muss genau überlegen, wie viel weiterer geldpolitischer Segen nötig ist -
und in welcher Form. Niemand sollte indes von der EZB Wunderdinge erwarten.

Mit den erneuten Lockdowns in Deutschland, Frankreich & Co. ist das Risiko einer
Double-Dip-Rezession gestiegen. Zugleich verharrt die Inflation unter 0%. Da
kann die EZB kaum tatenlos zusehen. Die Unsicherheit ist aber immens: Niemand
kann sagen, wie groß die wirtschaftlichen Einbußen nun sein werden - wobei die
Hoffnung ist, dass es nicht so arg wird wie im April. Mit einem Impfstoff könnte
sich das Bild gar schlagartig wenden. Es macht also für die EZB Sinn, noch zu
warten. Im Dezember herrscht zudem hoffentlich auch in Sachen (weitere)
EU-Fiskalhilfen, Brexit und US-Wahl mehr Klarheit. Die EZB kann sich das Warten
auch leisten, weil das 1,35-Bill.-Euro-Corona-Notfallkaufprogramm PEPP nicht
einmal zur Hälfte ausgeschöpft ist.

Mehr Zeit ist auch hilfreich, um zu analysieren, was genau richtig ist. So
wichtig PEPP in der akuten Krise ist, so wenig ist es allein damit getan, immer
größere Kaufvolumina aufzurufen. Man sollte zudem nicht vergessen: Auch wenn es
in einer Jahrhundertrezession wie der aktuellen absolut angemessen ist, dass
sich Geld- und Fiskalpolitik mit vereinten Kräften gegen das Ungemach stemmen,
darf das nicht in einer unheilvollen Allianz münden. Die EZB muss jetzt vor
allem Störungen im Banken- und Finanzsystem verhindern, die über die
Kreditvergabe wieder auf die Wirtschaft zurückschlagen. Da macht es etwa Sinn,
bei den langfristigen Refinanzierungsgeschäften TLTRO III oder den Freibeträgen
vom Negativzins nach zu justieren.

Die Aussicht auf noch mehr billiges Zentralbankgeld hat gestern vielerorts für
gute Stimmung gesorgt - nicht zuletzt an den Börsen. Fakt ist aber: Auch noch so
umfangreiche Wertpapierkäufe werden den Verlust der gesamtwirtschaftlichen
Nachfrage durch die neuerlichen Lockdowns nicht kompensieren können oder zum
echten Wachstumstreiber werden. Bei Ersterem kommt es vor allem auf die
Fiskalpolitik an, und Letzteres hängt aktuell primär von der Entwicklung eines
Impfstoffs ab. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat Recht: Die EZB ist nicht
ohnmächtig. Sie ist aber sicher auch nicht allmächtig.

(Börsen-Zeitung, 30.10.2020)

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