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BERLIN (dpa-AFX) - Kurz vor erneuten massiven Corona-Beschränkungen in Deutschland schnellen die Infektionszahlen weiter in die Höhe. Mit 18 681 gemeldeten neuen Fällen binnen eines Tages gab das Robert Koch-Institut (RKI) am Freitag einen Rekordwert bekannt. Das Bundesgesundheitsministerium ermunterte dazu, bereits vor dem Start des Teil-Lockdowns mit Schließungen vieler Einrichtungen an diesem Montag Kontakte zu reduzieren. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte mit Blick auf das Wochenende: "Verzichten Sie auf die üblichen Halloween-Partys". Die Bundesregierung machte klar, dass die strengeren Vorgaben auch kontrolliert werden sollen.

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sagte im Bayerischen Rundfunk: "Alle müssen sich wirklich sehr, sehr konsequent an die Regeln halten." Dabei gelte: "Keine proaktiven Kontrollen im Privatbereich, aber sehr deutliche Kontrollen im öffentlichen Bereich." Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, im öffentlichen Raum werde die Polizei natürlich kontrollieren, ob etwa die Maskenpflicht eingehalten werde. "Natürlich in der Wohnung nicht. Da ist auch keine Änderung geplant." Es gebe auch keinen Aufruf, Hinweise zu geben.

Nach einem Beschluss von Bund und Länder sollen ab Montag für den ganzen Monat November die einschneidendsten Maßnahmen seit dem großen Stillstand im Frühjahr greifen. Schulen, Kitas und der Einzelhandel sollen aber geöffnet bleiben. Generell seien feiernde Gruppen auf Plätzen, in Wohnungen und privaten Einrichtungen "inakzeptabel". Bundesweit sollen Restaurants, Kinos und Theater schließen. Hotels dürfen keine Touristen aufnehmen. Aus Schleswig-Holstein müssen Urlauber spätestens bis Montag abreisen. Für Nordsee-Inseln und Halligen gelte eine Frist bis 5. November wegen der Kapazitäten im Fährverkehr sowie den Autozügen, teilte die Landesregierung mit.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einem "November der nationalen Kraftanstrengung", um die Zahlen wieder unter Kontrolle zu bringen. Damit Schulen, Kindergärten und das Wirtschaftsleben so weit wie möglich zu Pandemiebedingungen im Regelbetrieb bleiben könnten, müssten in anderen Bereichen Kontakte umso stärker reduziert werden.

Spahn will Anfang kommender Woche aus der Quarantäne wegen seiner eigenen Corona-Infektion zurückkehren. "Es geht mir - toi, toi, toi - ganz gut. Die Symptome sind zurückgegangen", sagte er am Freitag nach einer Videokonferenz der EU-Gesundheitsminister, die er von zu Hause leitete. "Ich bin ab Montag dann auch wieder im Ministerium vor Ort." Spahn (40) war als erster Bundesminister positiv auf das Coronavirus getestet worden, wie am 21. Oktober mitgeteilt worden war. Laut Ministerium hatten sich bei ihm Erkältungssymptome entwickelt.

Die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Tages könnte nach nun fast 19 000 bald die Marke von 20 000 erreichen. Am Freitag vor einer Woche hatten die Gesundheitsämter dem RKI noch 11 242 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Bezogen auf 100 000 Einwohner über sieben Tage liegt die Zahl der Neuinfektionen nun erstmals für Deutschland insgesamt über der Schwelle von 100. Laut RKI waren es mit Stand Freitag, 0.00 Uhr, 104,9 Neuinfektionen. Vor vier Wochen (2.10.) waren es 15,3 gewesen. Als ein wichtiger Warnwert für verschärfte Gegenmaßnahmen in einer Region gilt, wenn 50 neue Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen verzeichnet werden.

Mit Blick auf den geplanten Teil-Lockdown wurden Zweifel laut, ob die neuen Corona-Maßnahmen juristisch wasserdicht sind. Der Jurist und FDP-Vize Wolfgang Kubicki schrieb in der "Passauer Neuen Presse" (Freitag): "Die Beschlüsse bleiben von solch einer bemerkenswerten Widersprüchlichkeit, dass nur fraglich erscheint, wann das erste Gericht sie kippt und nicht ob." Kubicki fragte: "Warum müssen Nagelstudios schließen, nicht aber Friseure? Wieso werden auch dort Restaurants geschlossen, wo man noch weit entfernt ist von den selbst definierten Schwellenwerten?" All das sei nicht mehr zu erklären.

Der Staatsrechtler Ulrich Battis sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag): "Ich gehe fest davon aus, dass es eine hohe Anzahl an Klagen geben wird und dass auch viele wie bisher in einstweiligen Rechtsschutzverfahren damit durchkommen werden, siehe die gekippten Beherbergungsverbote und Sperrstunden." Dass der gesamte Lockdown von Gerichten gekippt werde, erwarte er aber nicht. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Bund-Länder-Beschlüsse als "geeignet, erforderlich und verhältnismäßig" verteidigt.

Die Mehrheit der Bürger unterstützt nach einer Umfrage den geplanten Teil-Lockdown im November oder wünscht sich sogar noch weitergehende Schritte. In einer Forsa-Erhebung für RTL und ntv befürworteten 50 Prozent die von Bund und Ländern beschlossenen strikten Maßnahmen. Weiteren 16 Prozent der 1014 Befragten reichen sie noch nicht aus. Genau einem Drittel dagegen gehen sie zu weit./sam/hot/DP/jha