Sie erwarten die erste Zinserhöhung seit Jahren nun bereits für September 2019. Bislang hatten sie auf Oktober 2019 gesetzt. Dies hätte bedeutet, dass Draghi praktisch auf den letzten Drücker kurz vor Ablauf seiner Amtszeit Ende Oktober 2019 noch die Zügel strafft. Die Kurse an den Terminmärkten signalisieren eine Anhebung des Einlagensatzes von derzeit minus 0,4 Prozent um 0,1 Prozentpunkte. Es wäre die erste geldpolitische Straffung im Euro-Raum seit 2011. Für diese war damals noch Draghis Amtsvorgänger Jean-Claude Trichet verantwortlich.

Draghi hatte am Montag bei seiner Anhörung vor einem Ausschuss des Europäischen Parlaments für Aufsehen gesorgt, als er auf eine "relativ starke" Zunahme des Preisdrucks hingewiesen hatte. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet bemühte sich am Dienstag, die anschließenden Marktspekulationen zu dämpfen. Er sagte auf einer Konferenz in London, in Draghis Rede sei "nichts Neues" zu finden gewesen. Lohnsteigerungen würden sich erst innerhalb von Monaten auf die Inflation auswirken. Praets Bemerkung kommentierte Ökonom Martin van Vliet von der Direktbank ING mit den Worten: "Man kann zwar versuchen, das von Draghi gestern Gesagte herunterzuspielen. Doch ich denke, es war ein bemerkenswerter neuer Zungenschlag."

Draghi hatte vor den Abgeordneten auch die gängige Sprachregelung der EZB wiederholt, wonach der Leitzins "mindestens über den Sommer 2019" auf dem aktuellen Niveau von null Prozent bleiben werde. Diese sprachlich unscharf gehaltene Formulierung bietet den Währungshütern die Möglichkeit, sich trotz des Signals einer ins Auge gefassten Abkehr vom Niedrigzins nicht auf einen Monat festnageln zu lassen.