Die Sehnsucht nach Entspannung in Politik und Handelskonflikten ist physisch greifbar. Das ist verständlich, da sich die Aussichten auf Entspannung in der Realität verflüchtigen. Im Gegenteil nehmen Spannungen und Krisenherde in der Tendenz zu. Das hat eine erhöhte Risikoaversion an den Finanzmärkten zur Folge.

Werfen wir einen Blick auf Fakten in Kurzform:

• Honkong: Die Aggression der Demonstranten nimmt zu. Geht es eigentlich noch um das Auslieferungsgesetz? Chinas Führung spricht von terroristischen Ansätzen. Die Toleranzschwelle der Führung Chinas scheint ausgereizt. Vielleicht hinterfragen sich westlich geführte NGOs, die vor Ort in welche Richtung agieren?  Will man wieder eine Farbenrevolution nach den Mustern Osteuropa mit diesen Truppen organisieren? Kann das in Hongkong klappen?

• In Argentinien kam es zu einem Crash des Pesos. Bei Vorwahlen brach der konservative Präsident Macri gegenüber dem Team Fernandez/Kirchner ein. Dieser Linksruck wird von Märkten nicht positiv goutiert.

• In Italien steht die Terminierung des Misstrauensvotums durch den Senat in Rom auf der Agenda. Unsicherheit in und über Italien nimmt zu.

• Aus den USA kommt eine klare Kampfansage an die EU: Herr Bolton als Emissär der US-Regierung unterstützt einen harten Brexit enthusiastisch. Klarer kann man sich in die Innenpolitik der EU nicht einmischen und eine aggressive Position gegen die EU offenkundig machen. Der Begriff Partnerschaft mit der EU ist weniger als eine Farce!  Sind die europäischen Transatlantiker hellwach?

• Boris Johnson pokert um einen „Last-Minute Brexit Deal“, weil die EU Irland sicherlich retten wolle. Das UK bezieht damit faktisch nicht nur eine Position gegen die EU, sondern auch gegen Irland. Dabei ist das UK vorrangig verpflichtet, das „Good Fríday Agreement“ zu respektieren und die daraus resultierende Verantwortlichkeit zu leben! Boris Johnson verneint britische Verantwortung und fordert sie gleichzeitig von der EU ein! Ob dieses Verhalten der Johnson-Administration als salonfähig oder als Ausdruck der Kunst der Diplomatie oder nur als billiges Schmierenstück klassifiziert wird, mag im Auge des Betrachters liegen.

• Der Handelskonflikt zwischen USA und China ist ungelöster denn je. Nahezu kommt es täglich zu einer weiteren Eskalation.

• Die Frühindikatoren und Sentiment-Indices implizieren grundsätzlich bei wenigen Ausnahmen weitere Dynamikverluste in der Weltwirtschaft.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Risiken an nahezu allen Fronten zunehmen. Während die internationale Politik bezüglich der Aggression der USA umfänglich versagt (Maßnahmen, z.B. IT-Airbus, Solidarisierung von 85% der Weltwirtschaft), fällt der Fokus der Märkte auf die Zentralbanken.
Märkte erwarten, dass Zentralbanken die Zinsen und damit die Diskontierungsfaktoren für Märkte reduzieren. Damit lassen sich die originären politischen Probleme fraglos nicht lösen, aber damit lässt sich Finanzmarktstabilität mindestens auf kurze Sicht unterstützen.

Die jüngste Markterwartung erreichte uns aus den USA von Morgan Stanley. Die Analysten von Morgan Stanley prognostizieren für September die nächste Zinssenkung der US-Notenbank. Eine weitere Senkung wird per Oktober erwartet. Bisher ging Morgan Stanley lediglich von einer Senkung per Oktober aus.

In der Tat ist das Thema Anlagenotstand aktueller denn je.
• Fakt ist, dass die Weltwirtschaft zwar an Dynamik verloren hat, sie ist aber bezüglich der Anfechtungen aus den USA immer noch bemerkenswert widerstandsfähig. Derzeit haben wir einen Wachstumsclip um die 3% Marke. Das impliziert in einer grundsätzlichen Betrachtung positive Skaleneffekte für Unternehmen.

• Fakt ist, dass die Dividendenrenditen in der westlichen Welt deutlich oberhalb der Renditen am Anleihemarkt liegen.

• Fakt ist auch, dass ex USA keine Übertreibungen in der Bewertung der Aktienmärkte anzutreffen ist. Das gilt insbesondere für Russland und China.

• Fakt ist, dass derzeit Gold und Silber glänzen, da sie außerhalb der Finanzversuchslabors der westlichen Welt angesiedelt sind. Eben deswegen haben unter anderem Russland und China im Laufe der letzten Jahre Gold akkumuliert. Wer ist smart?
„Food for thought!“

Datenpotpourri der letzten 24 Stunden:

Russland:
Laut erster Berechnung stieg das BIP Russlands im Jahresvergleich per 2. Quartal 2019 um 0,9% nach 0,5% im 1. Quartal 2019.

USA:
Das Federal Budget (Teilmenge des öffentlichen Haushalts) lieferte per Juli ein Defizit in Höhe von 120 Mrd. USD. Im Vorjahr lag das Defizit lediglich bei 77 Mrd. USD.

• Wo sind die selbsttragenden Kräfte der US-Wirtschaft?
• Wann werden Defizite der USA sachlich unbestechlich an Märkten diskontiert?
• Wie lange will der westlich dominierte Finanzmarkt noch das Märchen „Des Königs neue Kleider“ von Hans Christian Andersen als Narrativ der Bewertung der USA aufrechterhalten?
Wir ziehen diese Fragen zurück. Sie waren politisch nicht korrekt!

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den Euro gegenüber dem USD favorisiert. Ein Unterschreiten der Unterstützungszone bei 1.1020 – 40 negiert den positiven Bias des EUR.
Viel Erfolg!


Gastbeitrag von Folker Hellmeyer, Chefanalyst SOLVECON INVEST

www.solvecon-invest.de

Herr Hellmeyer hat am Finanzmarkt ursprünglich als Devisenhändler begonnen. Für Deutsche Bank und Helaba war er in Hamburg, London und Frankfurt tätig. Von 2002 bis 2017 war Herr Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank und hat mit klaren Worten die Entwicklungen an den Börsen und im Finanzmarkt¬geschehen kommentiert.