Berlin (Reuters) - Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht noch keine Kompromisslinien bei der angedachten Reform der europäischen Schuldenregeln.

"Eine Landezone, wo wir zusammenkommen, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sichtbar", sagte er am Montag in Brüssel vor Beratungen mit seinen europäischen Amtskollegen. Die Vorstellungen der EU-Kommission lägen jetzt vor, sie könnten aber höchstens der Beginn der Diskussionen sein. Ziel müsse es sein, den hohen Schuldenstand in Europa zu reduzieren. Es brauche dafür Regeln, die für alle gelten und nicht im Einzelfall.

Die EU-Kommission will die Schuldenregeln stärker auf die Bedürfnisse einzelner Länder abstimmen. Kernstück sollen mittelfristige Finanzpläne der jeweiligen Staaten sein, die individuell ausgehandelt werden können. Im Gegenzug sollen die Vorgaben einfacher, transparenter und besser durchsetzbar werden. In der Corona-Pandemie sind die Staatsschulden sprunghaft gestiegen, die aktuelle Energiekrise erschwert Konsolidierungen. In der EU gelten als Obergrenzen für die Neuverschuldung eigentlich drei Prozent der Wirtschaftsleistung und 60 Prozent für die Gesamtverschuldung. Gegen die Vorgaben wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte, es gebe unterschiedliche Ansätze zu der möglichen Reform. In einigen Monaten müsse es aber einen Kompromiss geben. Es gehe auch um ein Signal an die Kapitalmärkte, Investitionen nach der Energiekrise zu forcieren.

Europa werde im Winter in eine Rezession rutschen, ergänzte Gentiloni. Ab Frühjahr 2023 sollte es dann aber wieder Wachstum geben, wenn auch auf mäßigem Niveau. Die Inflation, die seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor allem wegen hoher Energiekosten sprunghaft gestiegen ist, dürfte bald ihren Höhepunkt erreicht haben, so der Italiener. Der Rückgang im nächsten Jahr sollte allerdings nur gering ausfallen.

(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)