MOSKAU/WIEN (dpa-AFX) - Auch am Tag des Besuchs von Österreichs Kanzler Karl Nehammer in Moskau bei Kremlchef Wladimir Putin gehen Russlands Raketenangriffe in der Ukraine unvermindert weiter. "Er muss aufhören!", betont Nehammer mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine vor seiner Abreise. Noch am Samstag traf er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew - und holte sich Rückenwind für die heikle Mission am Montag in Moskau. Greifbare Ergebnisse wurden nicht erwartet von dem Treffen mit Putin hinter verschlossenen Türen. Wie andere will sich auch Österreich für den Frieden einsetzen.

"Es braucht humanitäre Korridore, einen Waffenstillstand & vollständige Aufklärung der Kriegsverbrechen", teilte Nehammer bei Twitter mit. Die Ukraine wirft Russland chaotische und wahllose Bombardements vor. Die Militärführung in Moskau weist das zurück. Und Nehammer sollte nun die russische Sicht der Dinge aus erster Hand von Putin direkt bekommen. Sie trafen sich in Putins Moskauer Vorstadtresidenz in Nowo-Ogarjowo.

Nachdem etwa der deutsche Kanzler Olaf Scholz oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederholt mit Putin telefoniert haben, ist Nehammer nun der erste Regierungschef eines EU-Landes, der sich nach Beginn des Kriegs vor fast sieben Wochen nach Moskau aufmachte. Scholz begrüßte die Reise seines Kollegen. Man befürworte "jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen zwischen der Ukraine und Russland", ließ er in Berlin mitteilen. Er selbst habe im Moment "keinerlei Pläne" nach Moskau zu reisen.

Nehammer hatte die Reise am Sonntag angekündigt und Scholz auch vorher darüber unterrichtet. Er habe vorab die "europäischen Partner" informiert, teilte der Österreicher mit - darunter auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die die Ukraine am Freitag besuchte.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg verteidigte das Treffen in Moskau gegen Kritik. "Es geht einfach darum, dass wir (...) jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden", sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg. "Jede Stimme, die dem Präsidenten Putin verdeutlicht, wie die Realität sich außerhalb der Mauern des Kremls wirklich darstellt, ist keine verlorene Stimme."

Zu Befürchtungen, dass Putin Bilder vom Treffen für seine Zwecke nutzen könnte, sagte Schallenberg, der Besuch sei so besprochen, dass es ausschließlich ein Vieraugengespräch ohne Medien gebe. "Das heißt, aus unserer Warte ist alles getan, damit es eben nicht missbraucht wird", sagte er.

"Falle oder Coup?" Die "Kronen Zeitung" in Österreich stellte angesichts des Besuchs Nehammers eine nahe liegende Frage. Österreich als neutrales Land, das nicht der Nato angehört, sieht sich gern in der Rolle des Brückenbauers. Dieses Bild möchte Nehammer bemühen und den Dialog vorantreiben. Persönliche Diplomatie statt Telefongespräche ist sein Motto. Neben der Türkei und Israel positioniert sich Österreich jedenfalls als weiteres mögliches Vermittlerland.

Jahrzehntelang hat Wien ein sehr enges Verhältnis zu Moskau gepflegt. Der österreichische Energiekonzern OMV hat schon vor mehr als 50 Jahren einen ersten Erdgasliefervertrag mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossen. Heute kommen 80 Prozent des Gases aus Russland, was den Handlungsspielraum des Landes sehr einschränkt. Auch um Energiefragen sollte es bei dem Gespräch mit Putin gehen.

"Das Hauptthema ist die Lage der Dinge um die Ukraine. Auf der anderen Seite lässt sich eine Erörterung der Gasangelegenheiten auch nicht ausschließen, weil das Thema für die österreichische Seite ziemlich aktuell ist", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Es seien aber weder Bilder vom Auftakt des Treffens noch Informationen für die Medien von russischer Seite im Anschluss geplant. Es wurde erwartet, dass sich Nehammer am Abend in Moskau vor Journalisten äußert. Putin allerdings will erst an diesem Dienstag Fragen von Journalisten beantworten.

Immer wieder hofierten österreichische Spitzenpolitiker den Chef im Kreml. Die Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) bekamen Jobs in Aufsichtsräten russischer Top-Firmen - die sie angesichts des Ukraine-Krieges aufgegeben haben. Schlagzeilen machte der Privatbesuch Putins 2018 bei der Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl, die sich mit einem Knicks bedankte.

Aktuell hat Österreich zwar alle EU-Sanktionen mitgetragen, aber auf seine Weise nicht zusätzlich die Fronten verhärtet. So hat Wien erst nach einigem Zögern einige wenige russische Diplomaten ausgewiesen. Skeptisch sieht Österreichs führender Russland-Experte Gerhard Mangott Nehammers Vorstoß. "Auch in Moskau weiß man, dass das kleine Österreich kein Gewicht hat, um auf die Meinungsbildung in der Europäischen Union zu Russland Einfluss zu nehmen", sagte Mangott am Sonntagabend im ORF-Fernsehen./mrd/DP/jha