Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Schlimmer geht immer: Die Inflation im Euroraum dürfte im Juni ein neues Allzeithoch erreicht haben. Volkswirte rechnen damit, dass die Verbraucherpreise gegenüber dem Vormonat um 0,6 Prozent gestiegen sind, womit sie im Jahresvergleich um 8,4 (Mai: 8,1) Prozent höher liegen würden. Das wäre der höchste Stand seit Beginn der Datenreihe, und es wachsen die Zweifel daran, dass die Inflation tatsächlich im Sommer ihren Höhepunkt sehen wird. Weil die Inflationszahlen erst am Freitag (11.00 Uhr) kommen, werden Offizielle der Europäischen Zentralbank (EZB) keine Gelegenheit haben, diesen Meilenstein des Preisgeschehens noch während ihres geldpolitischen Symposiums zu kommentieren, das von Montag bis Mittwoch im portugiesischen Sintra stattfindet.


   Euroraum-Kerninflation steigt auf 3,9 (3,8) Prozent 

Es dürften erneut vor allem die Energie- und Nahrungsmittelpreise gewesen sein, die den Anstieg der Euroraum-Inflation im Juni bewirkt haben. Die Kernverbraucherpreise dürften laut Prognose der von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte gegenüber dem Vormonat nur um 0,5 Prozent und auf Jahressicht um 3,9 (3,8) Prozent gestiegen sein.

Aus Sicht der Verbraucher und auch der EZB ist das aber ein schwacher Trost: Die Kernteuerung, die von Ökonomen als so etwas wie der "grundlegende Inflationsdruck" betrachtet wird, ist damit fast doppelt so hoch wie das EZB-Inflationsziel von 2 Prozent. Und die Inflationserwartungen der Konsumenten werden maßgeblich von jenen Waren und Dienstleistungen des täglichen Verbrauchs beeinflusst, deren Preise besonders kräftig steigen. Das lässt Auswirkungen auf die Lohnverhandlungen erwarten - ein erster Schritt hin zu eine Preis-Lohn-Spirale.

Kein Wunder, dass Marktteilnehmer und Analysten für dieses Jahr vier Leitzinserhöhungen der EZB erwarten. Allerdings könnte der Zinserhöhungseifer der Zentralbanker darunter leiden, dass die Wirtschaft des Euroraums auf eine deutliche Abkühlung zusteuert. Und das hat nicht nur etwas mit der hohen Unsicherheit wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine zu tun, sondern auch etwas mit der hohen Inflation, die den Konsum dämpft. Die EZB steht wahrhaftig vor keiner angenehmen Aufgabe.


   Welche Botschaften schickt die EZB aus Sintra? 

Ein Kreuz im Terminkalender verdient vor diesem Hintergrund auf jeden Fall die Sintra-Eröffnungsrede von EZB-Präsidentin Christine Lagarde (Dienstag, 10.00 Uhr), eine Diner Speech von EZB-Direktorin Isabel Schnabel (Montag, 21.00 Uhr), sowie eine Panel-Teilnahme Lagardes am Mittwoch (15.00 Uhr).

Hinweise auf die Euroraum-Teuerung werden am Mittwoch (14.00 Uhr) die deutschen Inflationsdaten liefern, wobei bereits am Vormittag Zahlen aus sechs Bundesländern kommen. Volkswirte erwarten, dass der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) gegenüber dem Vormonat um 0,4 Prozent gestiegen ist und um 8,8 (Mai: 8,7) Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats liegt.

Deutsche Inflation von Kraftstoffsteuerrabatt und 9-Euro-Ticket gebremst

Der Inflationsdruck in Deutschland dürfte von der Senkung der Steuersätze auf Benzin und Diesel und der Einführung des 9-Euro-Tickets im Nahverkehr der Bahn gebremst worden sein. Zwar haben sich die Kraftstoffe trotzdem verteuert und voraussichtlich einen erheblichen Beitrag zur Inflation geleistet, doch wären sie ohne den Steuerrabatt noch höher gewesen. Leichter beweisbar ist zugegebenermaßen, dass der ÖPNV-Rabatt pünktlich angekommen ist - im Gegensatz zu manchem Zug.

Andere wichtige Daten sind der Wirtschaftsstimmungsindex Esi für den Euroraum (Mittwoch, 11 Uhr), die "amtlichen" chinesischen Einkaufsmanagerindizes für Juni (Donnerstag, 3.30 Uhr) und deren privates Pendant Caixin für die Industrie (Freitag, 3.45 Uhr), sowie der Preisindex der privaten US-Konsumausgaben (PCE-Deflator) für Mai. Letzterer ist das von der US-Notenbank bevorzugte Inflationsmaß. Analysten rechnen mit einem Anstieg der Jahresrate auf 6,5 (6,3) Prozent.


   Riksbank könnte Zins um 50 Basispunkte erhöhen 

Am Donnerstag (9.30 Uhr) macht die schwedische Riksbank ihre Zinsentscheidung bekannt. Angesichts der auch in Schweden unerwartet hohen Inflation wollen Analysten nicht ausschlie9en, dass sich die Zentralbank zu einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte entschließt.

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June 27, 2022 01:00 ET (05:00 GMT)