Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Ohne Prognosen passiert nichts: Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat es sich angewöhnt, wegweisende Entscheidungen nur dann zu treffen, wenn ihm aktuelle makroökonomische Projektionen seines volkswirtschaftlichen Stabs vorliegen. Die kommen erst im März, aber die nächste Ratssitzung findet schon in der nächsten Woche statt. Droht deshalb Langeweile? Mitnichten. Das Gremium, das erstmals seit zehn Jahren ohne seinen "Chef-Falken" Jens Weidmann tagt, wird erneut über die Inflationsaussichten diskutieren und versuchen, anschließend keinen zu zerstrittenen Eindruck zu machen.

Zudem kommt in der Woche eine ganze Reihe wichtiger Konjunkturdaten, die auch für die EZB von Interesse sind, und die Bank of England veröffentlicht ihre geldpolitischen Entscheidungen. Die Woche endet mit dem stets stark beachteten US-Arbeitsmarktbericht.


   EZB hat Politik erst im Dezember gestrafft 

Der EZB-Rat hat seine Geldpolitik erst im Dezember unter dem Eindruck der unerwartet hohen Inflation neu ausgerichtet: Eine Bilanzvergrößerung via Pandemiekaufprogramm PEPP soll ab April nicht mehr stattfinden, ausgeglichen wird das vorübergehend durch höhere Käufe unter dem klassischen APP-Programm, das im vierten Quartal 2022 aber wieder ein Monatsvolumen von nur noch 20 Milliarden Euro haben soll.

Wie das Protokoll der Ratssitzung am 15./16. Dezember zeigte, war diese geldpolitische Richtung dem einen oder anderen "Falken" noch zu locker. Manche Taube dagegen fürchtete die Folgen der Omikron-Welle und plädierte für eine stärkere Lockerung. An diesem Frontverlauf dürfte sich seither nichts geändert haben.


   EZB-Offizielle sehen keine Zinserhöhung im laufenden Jahr 

Wie sieht es mit Zinserhöhungen aus? Einen ersten Schritt preist der Geldmarkt für Ende 2022 ein, was bedeutet, dass zuvor schon die Bilanzvergrößerung via APP ein Ende gefunden haben müsste. Diesem Szenario widersprechen EZB-Offizielle aus dem Direktorium vehement. Sie argumentieren, dass sich die Rahmenbedingungen in den USA und Europa deutlich unterschieden und dass die Inflation - zumindest laut den Projektionen 2023 und 2024 wieder unter 2 Prozent liegen dürfte.

Allerdings leitet mancher Beobachter aus der zuletzt verschärften Gangart der US-Notenbank, die ihre Zinsen dieses Jahr um bis zu fünf Mal anheben könnte, einen erhöhten Handlungsbedarf auch für die EZB ab. Schließlich ist die Wechselkursdifferenz zwischen US-Dollar und Euro durchaus relevant für die Inflationsaussichten.

Insgesamt scheint es aber nach dem recht harten Kurswechsel im Dezember zu früh für eine abermalige Straffung oder auch nur schärfere Inflationsrhetorik von Rat und EZB-Präsidentin Christine Lagarde zu sein. Einige Analysten meinen sogar, die EZB dürfe nach monatelanger "Inflationsleugnung" nun nicht in die Gegenrichtung übertreiben. Die EZB veröffentlicht die geldpolitischen Beschlüsse am Donnerstag (13.45 Uhr), die Pressekonferenz mit Lagarde beginnt gegen 14.30 Uhr.


   Euroraum-Inflation bleibt trotz Rückgangs sehr hoch 

Es ist klar, dass die EZB die am Tag vor der Ratssitzung anstehenden Inflationsdaten besonders aufmerksam prüfen wird. Im Dezember hatte die Jahresrate ein Allzeithoch von 5,0 Prozent erreicht. Volkswirte erwarten einen Rückgang auf 4,3 Prozent. Einen spürbaren Einfluss dürfte die Tatsache gehabt haben, dass die Normalisierung der Mehrwertsteuersätze in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahres nun aus dem Jahresvergleich herausfällt. Die Daten werden am Mittwoch (11.00 Uhr) veröffentlicht.

Am Montag (14.00 Uhr) kommen deutsche Preisdaten und am Dienstag (8.45 Uhr) französische. Am Freitag (10.00 Uhr) erfährt die interessierte Öffentlichkeit, welche längerfristigen Inflations- und Wachstumsprognosen die Professional Forecasters der EZB geliefert haben.


   Bank of England dreht wieder an der Zinsschraube 

Die Bank of England (BoE) dürfte bei ihrer Sitzung erneut den Leitzins erhöhen, nachdem die Inflation auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gestiegen ist. Ökonomen rechnen mit einer Anhebung um 25 Basispunkte auf 0,50 Prozent. Die Inflationsrate, die mit 5,4 Prozent weit über dem Zielwert der Notenbank von 2 Prozent liegt, setzt die geldpolitisch Verantwortlichen unter Druck, Maßnahmen zu ergreifen. Die Befürchtung einer steigenden Inflation veranlasste die BoE bereits im Dezember zu einer Zinserhöhung um 15 Basispunkte auf 0,25 Prozent.


   Erholung am US-Arbeitsmarkt geht weiter 

Die Erholung am US-Arbeitsmarkt dürfte sich im Januar fortgesetzt haben. Wegen der Omikron-Variante besteht allerdings ein gewisses Abwärtsrisiko für die Prognose. Ökonomen rechnen nach dem Factset-Konsens mit einem Zuwachs von 280.000 Stellen, nachdem es im Dezember ein Plus von 199.000 gegeben hatte. Die Arbeitslosenquote sollte bei 3,9 Prozent stagnieren. Bei den Stundenlöhnen wird ein monatlicher Anstieg von 0,5 (Dezember: 0,6) Prozent vorhergesagt, auf Jahressicht eine Steigerung von 5,2 (4,7) Prozent.


   Deutscher Auftragseingang steigt im Dezember leicht 

Die Lieferkettenprobleme der Industrie entspannen sich offenbar etwas. Produktion und Auftragseingang der deutschen Industrie zeigten sich in den ersten beiden Monaten des vierten Quartals erstaunlich robust. Allerdings könnte es bei den Aufträgen im Dezember nach dem starken Plus im November (3,7 Prozent) durchaus zu einem kleinen Rückschlag gekommen sein. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten jedoch, dass der Auftragseingang gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent gestiegen ist.

(Mitarbeit: Andreas Plecko)

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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(END) Dow Jones Newswires

January 28, 2022 09:24 ET (14:24 GMT)