Frankfurt (Reuters) - Der Energiepreis-Schub infolge des Ukraine-Kriegs treibt die Inflation im Euro-Raum auf immer neue Höchststände.

Die Verbraucherpreise kletterten im Juli binnen Jahresfrist um 8,9 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistikamt Eurostat am Freitag mitteilte. Damit hat sich die Teuerung nach dem bisherigen Rekordniveau von 8,6 Prozent im Juni nochmals verstärkt. Volkswirte hatten dagegen erwartet, dass die Inflation nicht weiter ansteigt. Im Mai hatte die Teuerung bei 8,1 Prozent gelegen, im April bei 7,4 Prozent. Der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte nun zunehmen, die Zinsen auf ihrer nächsten Zinssitzung erneut kräftig anzuheben.

"Der Euro-Raum hat ein tiefgreifendes Inflationsproblem", merkte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zu den Zahlen an. Die EZB solle daher entschieden gegensteuern und ihren Leitzins auf den kommenden Sitzungen um jeweils einen halben Prozentpunkt erhöhen." Sie kann es sich mit Blick auf die hohe Inflation nicht leisten, auf die Konjunktur Rücksicht zu nehmen", erläuterte er. Ähnlich äußerte sich Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: "Die Inflationslage bleibt bis auf Weiteres ernst." Das Umfeld für einen großen Zinsschritt der EZB im September festige sich, so Krüger. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank merkte an: "Die Aufgabe der EZB ist noch lange nicht beendet." Im September führe kein Weg an einer Zinserhöhung um 0,50 Prozentpunkte vorbei.

Die Euro-Wächter um Notenbankchefin Christine Lagarde haben wegen des massiven Inflationsschubs bereits die Zinswende eingeleitet. Sie stemmten sich am Donnerstag vor einer Woche bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren mit einem unerwartet kräftigen Schritt gegen die Teuerungswelle. Sie setzten den Leitzins gleich um einen halben Prozentpunkt auf 0,50 Prozent herauf. Die Zinsanhebung fiel damit doppelt so stark aus wie ursprünglich in Aussicht gestellt. Manche Währungshüter haben schon weitere kräftige Anhebungen ins Auge gefasst.. Die nächste Zinssitzung findet am 8. September in Frankfurt statt.

ZUGRUNDELIEGENDER PREISDRUCK ERHÖHT SICH

Dabei dürfte die Notenbank auch im Blick haben, dass sich der zugrundeliegende Preisdruck im Juli weiter verstärkt hat. Die sogenannte Kerninflation, in der schwankungsreiche Preise für Energie und unverarbeitete Lebensmittel herausgerechnet sind, erhöhte sich laut Eurostat deutlich auf 5,0 Prozent. Im Juni hatte sie noch bei 4,6 Prozent gelegen. Zudem zieht der Preisauftrieb inzwischen immer größere Kreise. VP-Bank-Ökonom Gitzel wies darauf hin, dass auch außerhalb des Bereichs von Energie und Lebensmitteln Waren nochmals deutlich teurer geworden sind. Industriegüter verteuerten sich um 4,5 Prozent nach 4,3 Prozent im Juni. Die Preise für Dienstleistungen stiegen laut Eurostat im Juli um 3,7 Prozent, nach einem Plus von 3,4 Prozent im Juni.

Größte Inflationstreiber waren wie schon in den Vormonaten die Preise für Energie und Lebensmittel. So schossen im Juli die Preise für Energie zum Vorjahr um 39,7 Prozent in die Höhe. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 11,0 Prozent. Nach Einschätzung der Commerzbank-Volkswirte wird die Inflation frühestens im Herbst den Höchststand erreichen. Sie rechnen damit, dass die Energiepreise wegen des Ukraine-Kriegs weiter hoch bleiben werden. Durch die andauernden Material- und Lieferengpässe habe sich die Produktion der Unternehmen verteuert. Dies werde mittlerweile in immer größerem Umfang an die Verbraucher weitergegeben.

Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des Schweizer Bankhauses Bantleon erwartet, dass die Inflation im September den Höhepunkt bei gut 9,5 Prozent ereichen wird. Darin wird sich Hartmann zufolge auch das Herausfallen des 9-Euro-Tickets und das Ende des Tankrabatts in Deutschland niederschlagen. EZB-Vize Luis de Guindos geht davon aus, dass die Euro-Notenbank in den nächsten Monaten mit einer Kombination aus schwachem Wachstum und hoher Inflation konfrontiert sein wird.

(Redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)