Wir schreiben das Jahr 2009: Infineon steht am Rande des Abgrunds. Die Aktien sind gerade noch 40 Cent wert und das Unternehmen sucht fieberhaft nach Kapital an den Märkten.

Mehr als ein Jahrzehnt später bewegt sich die Aktie um 36 EUR. Und dies trotz eines schwierigen Jahres 2022, das durch einen Mangel an Halbleitern gekennzeichnet war.

Ein bayerisches Unternehmen mit internationaler Ausstrahlung

Sobald Infineon seine Unabhängigkeit erlangt hatte, begann das Unternehmen, sich neu zu organisieren. Das Management wollte sich auf die profitabelsten Segmente konzentrieren und ein wichtiger Akteur in der Halbleiterherstellung werden. In diesem riesigen Markt mit einem geschätzten Wert von 592 Mrd. USD landet das bayerische Unternehmen, das weltweit 56.200 Mitarbeiter beschäftigt und einen Marktanteil von 2,3 % hat, aktuell auf Platz 11 der größten Akteure. 

In der komplexen Welt der Chips zeigt jeder Akteur spezifische Merkmale: Infineon ist der weltweit viertgrößte Anbieter von Mikrocontrollern (ein Markt von 22 Mrd. USD). Das sind Halbleiter-Mikroschaltungen, die in vielen Anwendungen eingesetzt werden. Man denke an Waschmaschinen, Drohnen, Radios und Roboter. Zudem ist das Unternehmen Weltmarktführer bei Komponenten für Chipkarten (Smart Cards).

Der weltweite Halbleitermarkt (Quelle: Infineon)

Das Unternehmen ist international aufgestellt und vertreibt 29 % seiner Produkte in China und Hongkong. Der Rest verteilt sich auf die EMEA-Region (Europa, Naher Osten und Afrika) mit 24 %, Nord- und Südamerika mit 13 %, Japan mit 10 % und schließlich Südostasien mit 24 %. Die Gruppe richtet sich an Kunden aus der Elektronikdistribution (50 % des Umsatzes) wie Arrow, Future Electronics, Autronik, Intron und andere. 20 % des Umsatzes entfallen auf zehn globale Industrie- und Technologieunternehmen wie Bosch, Samsung, Hyundai, Continental, Denso sowie Astemo und Thales, die Infineon-Chips in ihren Produktentwicklungen einsetzen. Die übrigen 30 % erwirtschaftet das Unternehmen mit weiteren Direktkunden. 

Die wichtigsten Kunden von Infineon (Quelle: Infineon)

Von der Automobilindustrie bis zu Videospielen

Das Kerngeschäft des Konzerns sind Chips für die Automobilindustrie, auf die 45 % der Einnahmen entfallen. Mit einem Marktanteil von 12,7 %, der auf 46,7 Mrd. USD geschätzt wird, ist das Unternehmen Weltmarktführer in diesem Bereich. Die Hälfte dieses Umsatzes entfällt auf Leistungschips, der Rest auf Sensoren, Mikrocontroller und Speicherchips. Diese Aktivität ist durch eine Reihe von Trends gekennzeichnet, wie die Elektrifizierung von Fahrzeugen und die Verwendung von eingebetteten Technologien - die Preise dieser Halbleiter sind aufgrund des Bedarfs an mehr Rechenleistung höher als die der Chips für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. China, der weltweit größte Markt für Elektromobilität, der auf 282 Mrd. USD geschätzt wird, ist im Übrigen der wichtigste geografische Standort der Gruppe, wenn es um Elektrofahrzeuge geht. 

29 % des Umsatzes entfallen auf Energie- und Sensorsysteme, die sich auf die Infrastruktur von Mobilfunknetzen, Komponenten für mobile Geräte, Stromversorgung und Verbraucheranwendungen konzentrieren. Es handelt sich um einen Markt, der kurzfristig durch das makroökonomische Umfeld beeinträchtigt wird - geringere Unternehmensinvestitionen mit geringerer Sichtbarkeit, Konjunkturabschwächung in China, geringerer Verbrauch der Haushalte -, langfristig aber ein unverändertes Potenzial aufweist: 5G kommt und der Bedarf an Datenverarbeitung wird stark ansteigen. Ende 2022 waren dies die profitabelsten Geschäftsbereiche mit einer operativen Marge von 28 %.

13 % des Umsatzes entfallen auf Sicherheitssysteme (50 % des Umsatzes der Tochtergesellschaft) und vernetzte Systeme (40 %) wie Zahlungskarten, staatliche Identifikationssysteme, vernetzte Heimlösungen und Videospiele. Dies ist ein Geschäftsbereich mit einem breiten Spektrum von Anwendungen und langfristigem Potenzial. So wird beispielsweise für den Markt für vernetzte Haushalte bis 2025 ein jährliches Wachstum von 20 % erwartet. Infineon ist gut positioniert, um davon zu profitieren - es werden starke Synergien mit Cypress, der bislang größten Akquisition, erwartet.

Die verschiedenen Geschäftsbereiche von Infineon (Quelle: Infineon)

Das übrige Geschäft umfasst Chips für die industrielle Stromversorgungssteuerung und ist selbst ein weites Feld: Denken Sie an Haushaltsgeräte, Stromerzeugung und -übertragung oder Robotik. Dies ist ein sehr dynamischer Markt, der durch den Bedarf an erneuerbaren Energiequellen (Windkraft, Photovoltaik), Unternehmensautomatisierung und elektrischer Infrastruktur, aber auch - längerfristig - durch das Aufkommen neuer Technologien wie Wasserstoffkraftwerke oder Anlagen zur Kohlenstoffabscheidung gestützt wird. 

Ein ehrgeiziger Fahrplan

Seit der Übernahme des US-amerikanischen Unternehmens International Rectifier im Jahr 2014 hat die Gruppe ihr Geschäft auf Wachstumsbereiche wie das Internet der Dinge ausgeweitet und ihre Finanzen weitgehend bereinigt. Die starke Nachfrage in den Zielmärkten erlaubt es Infineon, sehr ehrgeizig zu sein, insbesondere dank der guten Sichtbarkeit, die es genießt. Mittelfristig strebt der Konzern ein jährliches Umsatzwachstum von mehr als 10 %, eine operative Marge von 25 % und einen freien Cashflow zwischen 10 und 15 % an. 

(Quelle: Infineon)

Die Neuausrichtung auf vier Schlüsselaktivitäten hat es Infineon ermöglicht, sich als Wachstumswert zu positionieren. Indem der Konzern den Digitalisierungswahn der Jahre 2010-2020 voll ausnutzte, konnte er seinen Umsatz fast verdoppeln. Dies gilt auch für die Nettomarge, die von 7 % im Jahr 2013 auf 14,1 % im Jahr 2018 gestiegen ist. 

Im Jahr 2019 war eher eine Normalisierung als ein Rückgang des Geschäfts zu beobachten, und die Nettomarge kehrte auf 10,8 % zurück. Im selben Jahr erwarb Infineon Cypress für 10 Mrd. USD und konnte so dank erheblicher Synergien größer denken: Aufgrund der Integration des US-Konzerns verdoppelte sich der freie Cashflow nach dem Geschäftsjahr 2021 und erreichte bis Ende 2022 den Rekordwert von 1,67 Mrd. Euro. 

Die Gruppe hatte geplant, die durch die Übernahme entstandenen Schulden mittelfristig auf das Zweifache des EBITDA zu reduzieren. Ende 2022 betrugen die Schulden bereits nur noch das 0,55-fache des EBITDA. Während die Verschuldung im Jahr 2020 noch 4 Mrd. Euro betrug, wird sie 2022 bei 2,45 Mrd. Euro liegen. 2020 war ein schwieriges Jahr, von dem auch Infineon nicht verschont geblieben ist. Doch 2021 ging es wieder aufwärts, und 2022 wird sogar ein Rekordjahr: Die Nettomarge lag am Ende des letzten Geschäftsjahres bei 15,3 %. Der Umsatz erreichte 14,2 Mrd. Euro. Im Vergleich zu 2018 ist das fast eine Verdoppelung. 

Die Ergebnisse für das erste Quartal 2023 - das Fiskaljahr fällt nicht mit dem Geschäftsjahr zusammen - zeigen einen Umsatz von 3,95 Mrd. Euro, 25 % mehr als im Vorjahr. Die Gewinne sind um 59 % gestiegen. Das Unternehmen bestätigte seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr von 15,5 Mrd. Euro. 

Entwicklung der Gewinn- und Verlustrechnung (Quelle: MarketScreener)

Nicht zu vernachlässigende Risiken

Der deutsche Riese hat einige Herausforderungen zu meistern: Dazu gehören das große Engagement in China, das Risiko einer weltweiten Konjunkturabschwächung auf dem Automobilmarkt (mit der Wahrscheinlichkeit einer schneller als erwarteten Verlangsamung des Wachstums in diesem Jahr) sowie ein Überschuss an Lagerbeständen, der eine Folge der inzwischen eingetretenen Knappheitsperiode ist und die Gewinne belasten könnte. Obwohl die Gruppe in den letzten Jahren über eine außergewöhnliche Preissetzungsmacht verfügte, dürfte sich diese Situation normalisieren. 

Die geopolitische Lage in Europa, Probleme bei der Gasversorgung und steigende Rohstoffpreise könnten die Produktion ernsthaft beeinträchtigen. Schließlich könnten sich auch Wechselkursschwankungen negativ auf die Ergebnisse von Infineon auswirken. 

Bei einer Marktkapitalisierung von 40 Mrd. Euro und einem durchschnittlichen Gewinn von 1,5 Mrd. Euro in den letzten zwei Geschäftsjahren - einem außergewöhnlichen Zeitraum - werden Infineon-Aktien mit dem 26-fachen des Spitzengewinns des Zyklus bezahlt. Das ist relativ teuer, auch wenn die Bilanz des Konzerns mit einem vernünftigen Verschuldungsgrad derzeit besser aussieht. 

Als einer der größten Technologiekonzerne der Welt hat Infineon den Vorteil, dass es in mehreren Bereichen Fuß gefasst hat. Dies bietet dem Unternehmen Schutz gegen die zyklische Natur des Halbleitermarktes. Die Integration von Cypress schafft starke Synergien und Infineon verfügt über eine solide Bilanz. Dies ist für ein Technologieunternehmen von entscheidender Bedeutung, da es einen Hebel braucht, um weiter investieren zu können.