Berlin (Reuters) - Die deutsche Industrie hat ihren nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine eingesetzten Auftragsschwund im Mai überraschend gestoppt.

Das Neugeschäft wuchs dank einer anziehenden Auslandsnachfrage um 0,1 Prozent zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. In den drei Monaten zuvor war es infolge des Kriegs stetig zurückgegangen - zuletzt im April um 1,8 Prozent. Von Reuters befragte Experten hatten diesmal mit einem weiteren Rückgang von 0,6 Prozent gerechnet. Zugleich wuchs der Umsatz im Verarbeitenden Gewerbe im Mai erneut - und zwar um 3,2 Prozent zum Vormonat nach einem Plus von 0,6 Prozent im April.

Regierung, Verbände und Ökonomen rechnen aber mit schwierigen Zeiten für die Industrie. "Der Ausblick für die Industriekonjunktur in den nächsten Monaten bleibt angesichts der hohen Unsicherheit durch den Krieg und des drohenden Lieferstopps beim russischen Gas zurückhaltend", kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung. Auch die Nachfrage aus China hatte sich wegen wiederholter Lockdowns im Zuge der Null-Covid-Politik der Pekinger Regierung deutlich abgeschwächt. Eine abkühlende Weltkonjunktur, Materialmangel und steigende Preise dämpfen ebenfalls die Nachfrage nach deutschen Industriegütern. "Anhaltende Lieferkettenstörungen weltweit versetzen nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern der Weltkonjunktur insgesamt einen Dämpfer", sagte die Außenwirtschaftsexpertin des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Carolin Herweg.

GROSSES AUFTRAGSPOLSTER

Die Bestellungen aus dem Ausland wuchsen im Mai um 1,3 Prozent. Dabei nahm das Neugeschäft außerhalb der Euro-Zone um 3,7 Prozent zu, während das aus der Währungsunion um 2,4 Prozent schrumpfte. Die Inlandsaufträge sanken, und zwar um 1,5 Prozent. Besonders Investitionsgüter wie Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen waren diesmal stärker gefragt: Hier zog die Nachfrage um 3,3 Prozent an. Vorleistungs- und Konsumgüter wurden hingegen um 3,2 Prozent beziehungsweise 4,5 Prozent weniger nachgefragt.

Der Industrie mangelt es derzeit allerdings nicht an Aufträgen, sondern an Vorprodukten wie Computerchips. "Lediglich Auftragspolster vor sich herzuschieben, wird für eine auskömmliche Produktion nicht reichen", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. "Die Lage dürfte sich erst bessern, wenn die Gasversorgung gesichert ist und Lieferstörungen nachlassen."

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)