Von Andreas Kißler

MÜNCHEN/BERLIN (Dow Jones)--Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2021 gesenkt, die Vorhersage für 2022 aber deutlich angehoben. Die Ökonomen erwarten für dieses Jahr nun 3,3 Prozent Wachstum und damit 0,4 Prozentpunkte weniger als noch im März. Dafür erhöhten sie ihre Vorhersage für das kommende Jahr um 1,1 Punkte auf 4,3 Prozent. "Kurzfristig dämpfend wirken vor allem die Engpässe bei der Lieferung von Vorprodukten", erklärte der Leiter der Ifo-Prognosen, Timo Wollmershäuser.

"Die an sich kräftige Erholung, ausgelöst durch die Öffnungen, verschiebt sich etwas weiter nach hinten, als wir noch im Frühjahr erwartet hatten", fügte er hinzu. Die Kosten der Corona-Krise für die Jahre 2020 bis 2022 beliefen sich auf 382 Milliarden Euro. Dabei werde angenommen, dass die deutsche Wirtschaft in der Zeit mit durchschnittlich 1,2 Prozent im Jahr gewachsen wäre.

Nach der Prognose werden die privaten Konsumausgaben 2021 um 1,6 Prozent und 2022 um 7,2 Prozent zulegen. Die Ausrüstungsinvestitionen erhöhen sich demnach dieses Jahr um 8,6 Prozent und nächstes um 6,8 Prozent. Mit der kräftigen Erholung dürfte die Zahl der Kurzarbeiter, die noch 2,3 Millionen im Mai betrug, rasch sinken und kommendes Jahr ihr Vorkrisenniveau erreichen, das bei etwa 100.000 lag. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte auf 2,649 Millionen in diesem und 2,405 Millionen im kommenden Jahr sinken, was Arbeitlosenquoten von 5,8 Prozent und 5,2 Prozent entspricht.

Die Inflationsrate wird sich nach der Prognose vorübergehend beschleunigen, von plus 0,6 Prozent beim deutschen Verbraucherpreisindex (VPI) im vergangenen Jahr auf plus 2,6 Prozent in diesem. Dazu trügen vor allem höhere Energiepreise und die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer bei. Die Kerninflationsrate dürfte bei 2,1 Prozent liegen. Danach flache sich der Anstieg der Verbraucherpreise wieder ab auf plus 1,9 Prozent im Jahre 2022, für die Kerninflationsrate werden 1,7 Prozent angenommen.


Kein Anziehen geldpolitischer Zügel 

Die Geldpolitik dürfte im Prognosezeitraum nach Erwartung der Ifo-Forscher "die Finanzierungsbedingungen weiterhin günstig halten, ohne jedoch neue Impulse setzen zu können". Die Europäische Zentralbank (EZB) habe zuletzt ihre Ansicht bekräftigt, dass es sich bei dem jüngsten Inflationsanstieg nur um ein temporäres Phänomen handeln dürfte und daher ein Anziehen der geldpolitischen Zügel nicht bevorsteht.

Bei einer etwaigen Straffung dürften zunächst die Anleiheankäufe im Rahmen des Programms PEPP zurückgefahren werden. So würden die Leitzinsen der EZB wohl auf absehbare Zeit an ihrer Untergrenze verharren. Im Prognosezeitraum dürften die Zinsen an den Kredit- und Kapitalmärkten im Einklang mit der wirtschaftlichen Erholung und steigenden Inflationserwartungen moderat anziehen. So dürfte sich die Umlaufrendite zehnjähriger Bundesanleihen bald wieder im positiven Bereich bewegen.

Das Finanzierungsloch des Staates weitet sich im Wahljahr 2021 laut der Prognose zunächst noch geringfügig auf 150,4 Milliarden Euro aus - von 149,2 im vergangenen Jahr. Im kommenden Jahr werde es voraussichtlich auf 49,6 Milliarden Euro zurückgehen. Das hänge aber vom Wahlergebnis ab, erklärte das Institut.

Der Außenhandel wird laut Ifo deutlich zulegen. Die Konjunkturforscher prognostizieren für die Exporte Zuwächse von 10,4 und 5,6 Prozent, die Importe sollen um 11,4 Prozent und 7,3 Prozent steigen. Daher schrumpfe der viel kritisierte Überschuss der deutschen Leistungsbilanz von 231 über 206 auf 184 Milliarden Euro - 7,0 und 5,8 sowie 4,9 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. Damit läge er erstmals seit Jahren unter der Marke von 6,0 Prozent, die die EU für kritisch hält.

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June 16, 2021 04:07 ET (08:07 GMT)