BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr wegen der vierten Corona-Welle wohl weniger stark wachsen als noch vergangenen Monat erwartet, erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest in einem Interview mit dem Spiegel. Die wirtschaftliche Erholung sei durch die hohen Infektionszahlen in Deutschland gefährdet. Er forderte daher deutliche Kontaktbeschränkungen. Im Oktober hatten die führenden Wirtschaftsinstitute noch ein Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent vorhergesagt. "Inzwischen müssen wir mit einer Stagnation im vierten Quartal rechnen", sagte Fuest.

Aufgrund der hohen Infektionszahlen konsumierten die Menschen weniger, blieben Veranstaltungen fern oder sagten Restaurantbesuche ab. "Die Situation belastet die Wirtschaftsentwicklung erheblich", so Fuest. Dafür machte er die alte und auch die neue Bundesregierung mitverantwortlich. "Die Politik hat geschlafen", kritisierte Fuest. "Bund und Länder warten jedes Mal ab, bis die Infektionszahlen so hoch sind, dass sie mit einschneidenden Maßnahmen reagieren müssen. Dabei sähe gutes Pandemie-Management genau umgekehrt aus: Man muss handeln, bevor es zu spät ist."

Die bisherigen Äußerungen der Ampel-Koalitionäre ließen nicht vermuten, dass man den Ernst der Lage erkannt habe, monierte Fuest. "Auf den ersten Blick mag es politisch weniger riskant scheinen, einfach abzuwarten und nichts zu tun. Aber dieser Eindruck täuscht. Die Politik muss endlich proaktiv handeln, statt nur zu reagieren", forderte der Ifo-Präsident.

Neben den nötigen deutlichen Kontaktbeschränkungen hält Fuest auch die Schließung einzelner Wirtschaftsbereiche für denkbar. Die Politik müsse entscheiden, ob es wichtiger sei, Bars und Klubs oder Schulen offenhalten. "Ich finde, Schulen haben Priorität. Großveranstaltungen oder Konzerte wohl eher nicht, so hart das für die Betroffenen klingt", so Fuest. Auch eine Impfpflicht am Arbeitsplatz sieht er als Maßnahme, die sich rechtfertigen ließe: "Wer partout nicht geimpft sein möchte, kann ja zu Hause bleiben."

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November 30, 2021 04:34 ET (09:34 GMT)