Von Hans Bentzien

FRANKFURT/WASHINGTON (Dow Jones)--Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält die Risiken, dass es wegen der hohen Inflation und enger Arbeitsmärkte zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, für begrenzt - im Durchschnitt und vorerst. Wie der IWF in einer Vorabveröffentlichung seines aktuellen Weltwirtschaftsberichts schreibt, sprechen dagegen drei Argumente: Der Inflationsschock geht von der Angebotsseite, nicht vom Arbeitsmarkt aus; sinkende Reallöhne begrenzen den Preisdruck; die Zentralbanken straffen ihre Geldpolitik aggressiv.

Wie es in einem Blog-Beitrag zu diesem Bericht heißt, hat der IWF 22 Episoden aus den vergangenen 50 Jahren untersucht, in denen wie 2021 die Preisinflation zunahm, die Löhne stiegen, aber Realöhne und Arbeitslosenquote unverändert waren oder fielen. "Im Durchschnitt kam es dabei nicht zu Lohn-Preis-Spiralen", befindet der IWF. Stattdessen sei die Inflation in späteren Quartalen zurückgegangen und die Nominallöhne seien gestiegen, was zu einer Erholung der Reallöhne geführt habe.

Allerdings sollten sich die Verantwortlichen von dieser allgemeinen Aussage laut IWF nicht einlullen lassen. "Die Inflation in den USA zum Beispiel stieg weiter, und die Reallöhne sanken eine Zeit lang nach 1979, als die Wirtschaft von weiteren Ölpreissteigerungen getroffen wurde. Der Verlauf der Inflation änderte sich erst, als die Federal Reserve die Zinsen drastisch anhob", merkt der IWF an.

Entscheidenden Einfluss für die Entwicklung von Preisen und Löhnen und die Reaktionen der Politik haben laut IWF die Erwartungen. Nach seiner Analyse haben die Erwartungen die Lohndynamik ab dem zweiten Halbjahr 2021 beeinflusst. Der IWF unterscheidet in seiner Analyse zwischen zwei Extremfällen: In einem richten die Akteure ihre Erwartungen völlig an den jüngsten (sehr hohen) Inflationsraten aus und fordern hohe Lohnzuwächse, was zu einer anhaltend hohen Inflation führen kann. In einem anderen Extremszenario haben die Akteure die Erwartung, dass die Preis- und Lohnschocks vorübergehender Natur sind, wodurch Lohnwachstum und Inflation bald wieder sinken.

In der Realität liege die Entwicklung meistens irgendwo zwischen diesen Extremen, meint der IWF. Wichtig sei, dass die hohe Inflation eine Weile Gelegenheit haben müsse, die Reallöhne sinken zu lassen, und dass es nicht zu einem Schock vom Arbeitsmarkt etwa über Lohnindexierung komme. Die Zentralbanken müssen laut IWF den Entstehungsprozess der Erwartungen gut verstehen. "Wenn die Erwartungen eher rückwärtsgewandt sind, sollten die Straffung und die Kommunikation eher stärker sein und 'Frontloading' beinhalten", rät der IWF. Insofern seien die jüngsten Maßnahmen großer Zentralbanken "ermutigend".

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October 05, 2022 09:00 ET (13:00 GMT)