Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der deutsche Einzelhandel hat die kommende Bundesregierung aufgefordert, "die richtigen Impulse für einen kraftvollen Neustart der Wirtschaft nach der Corona-Krise zu geben". Insbesondere in den Bereich der Tarifhoheit der Sozialpartner dürfe die Politik nicht immer weiter regulierend eingreifen, sagte der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Josef Sanktjohanser, beim Handelskongress Deutschland. Vielmehr müsse es um mehr Spielräume und Öffnungsklauseln gehen. Großen Handlungsbedarf sah der HDE-Präsident bei der Stärkung des Handelsstandortes Innenstadt.

"Die Aufgabenbeschreibung für die neue Bundesregierung ist ebenso klar wie ambitioniert: Es geht um nichts weniger, als Deutschland und sein Wohlstandsmodell durch einen tiefgreifenden Strukturwandel in die Zukunft zu führen" erklärte Sanktjohanser. Auch müsse die neue Regierungskoalition jetzt mit einer wirksamen "Entfesselungsoffensive" für eine Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik sorgen, um ungleiche Bedingungen zu beseitigen oder zu verhindern. Die Corona-Krise sei für viele Händlerinnen und Händler längst noch nicht ausgestanden.

Mit Blick auf den erneuten sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen warnte Sanktjohanser vor einem erneuten Lockdown. "Wir wehren uns mit aller Macht gegen stumpfe Maßnahmen wie einen Lockdown", sagte er in seiner Rede. "Wenn uns noch einmal ein Lockdown erwischt, dann sterben Unternehmen, verschwinden Läden aus unseren Städten." Die staatlich verordnete Schließung weiter Teile der Branche habe bereits zu massiven Strukturverschiebungen im Handel geführt. "Wir wünschen uns von der Bundesregierung mehr Vertrauen in die Kraft unternehmerischer Entfaltung und mehr Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse", sagte Sanktjohanser.


   Stadtzentren müssen sich neu erfinden 

Die Leistungsfähigkeit der vielen hunderttausend großen und kleinen Unternehmen hänge in hohem Maße von der Vertragsfreiheit ab. Die Politik solle in der Tarifpolitik nicht immer mehr Bereiche abschließend regeln und so keinen Freiraum mehr für Öffnungsklauseln oder betriebliche Vereinbarungen lassen. Politisch motivierte Mindestlohnerhöhungen nannte er "schädlich". Im Fokus müsse wieder eine "Staatsferne bei Arbeitsbedingungen und -entgelten" sein. Zudem forderte er "schnelles und koordiniertes Handeln" für die Stadtzentren, die sich "ein Stück weit neu erfinden" müssten. Die Verantwortung müsse viel stärker bei den Kommunen angesiedelt sein, forderte er.

HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth warnte vor der Einführung von "2G"-Regeln auch im Handel. "Dann werden wir einen Umsatzrückgang, Frequenzrückgang haben, der so massiv ist, dass viele Unternehmen das jetzt im Wintergeschäft, im Weihnachtsgeschäft nicht überstehen können", sagte er. Zudem mahnte er "stringentere Managementqualitäten" an, als sie die große Koalition gezeigt habe. Niemand könne verstehen, dass es keinen festen Krisenstab im Kanzleramt gebe.

FDP-Fraktionsvize Michael Theurer erklärte, seine Partei kämpfe dafür, so viel wie möglich offenzuhalten. "Diese 3G- beziehungsweise 2G-Regel wird nach regionalen Gesichtspunkten und von den örtlichen Gesundheitsämtern dann verhängt werden müssen", sagte er. Der Einzelhandel sei aber "nicht als Pandemietreiber bekannt", hob Theurer hervor. "Und deshalb: Wir wollen ja zielgenaue Maßnahmen." Nötig seien vor allem mehr unkonventionelle Maßnahmen, um die Impfquoten zu steigern, wie etwa eine "Ansprache migrantischer Milieus durch Kulturschaffende oder auch Influencer".

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November 17, 2021 04:52 ET (09:52 GMT)