Von Joe Wallace, Costas Paris und Anna Hirtenstein

LONDON (Dow Jones)--Schifffahrtsunternehmen haben in diesem Jahr Dutzende alte Öltanker aufgekauft. Für Schiffe mit Eisklasse, die auch im Winter russische Ostseehäfen erreichen können, wurden Rekordpreise gezahlt. Insider sagen, es gehe darum, auch dann noch russisches Öl auf den Markt zu bringen, wenn die bisher härtesten Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft in Kraft treten.

Die Tankerbranche besteht inzwischen aus zwei Teilen. Der eine arbeitet mit westlichen Ölgesellschaften, Banken und Versicherern zusammen. Der andere, informell als "Schattenflotte" bezeichnet, tut dies nicht und treibt seinen Handel mit Ländern wie dem Iran, Venezuela und zunehmend auch mit Russland, dem weltweit größten Exporteur von Rohöl und raffinierten Kraftstoffen.

"Es entsteht eine neue Art von Schifffahrtsmarkt, parallel zu dem normalen, regelbasierten Markt, auf dem die meisten von uns tätig sind", erläutert Lars Barstad vom Tankerhersteller Frontline.

Moskau unterliegt ab diesem Montag neuen Sanktionen aus Europa und den USA auf seine Ölexporte. Sofern der Kreml nicht die von ihnen verhängte Preisobergrenze akzeptiert, werden russische Produzenten dadurch von westlichen Schifffahrts- und Versicherungsmärkten abgeschnitten, auf die sie sich lange beim Ölexport verlassen haben.

Größe und Beweglichkeit der neuen "Schattenflotte" wird dann auch darüber entscheiden, ob es dem russischen Präsident Wladimir Putin gelingt, seine Öleinnahmen am Laufen zu halten. Öl ist nach wie vor Russlands wesentliches wirtschaftliches Schmiermittel und Schlüssel zur Finanzierung seines Angriffskrieges gegen die Ukraine, nachdem Moskau seine Erdgaslieferungen nach Europa fast vollständig eingestellt hat.


 Öl könnte wieder teurer werden 

Sollten die russischen Ölverkäufe sinken, weil die Schattenflotte nicht umfassend genug ist, könnten die Preise für Rohöl und Benzin weltweit in die Höhe gehen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat erklärt, die Schiffssanktionen würden neben Russland auch jenen Ländern schaden, die sie verhängten. "Die Verschiffung von russischem Öl wird unter den neuen Bedingungen organisiert", stellte er klar. Es werde dabei "unvermeidlich" zu einer "Destabilisierung der Ölmärkte" kommen, während die Nachfrage groß sei.

Gewachsen ist die "Schattenflotte" vor einem Jahrzehnt: Nachdem die USA 2012 ihre Sanktionen gegen Teheran verschärft hatten, brauchte der Iran die Tanker, um sein Rohöl weiterhin zu transportieren, sagte Partner John Smith von Morrison & Foerster. Als 2018 der damalige US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen den Iran verschärfte, wuchs die Flotte erneut, durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2018 wurden die Maßnahmen erneut ausgeweitet, wie Schiffsmakler und Trackingfirmen berichten, die Schiffsbewegungen verfolgen.

Es gibt keine verbindliche Definition dafür, was ein Schiff zum Teil einer "Schattenflotte" macht. Laut einem Bericht des US-Finanzministeriums von 2020 wechseln manche Tanker die Flagge, schalten Transponder aus, die automatisiert Schiffsdaten übermitteln, senden Täuschungssignale oder laden ihr Öl auf See um. Andere übermalen Schiffsnamen, fälschen Dokumente und verschleiern durch verschachtelte Eignerstrukturen, wer die Schiffe kontrolliert, heißt es in dem Bericht.

Einige fahren auch ohne Versicherung, wie Führungskräfte aus der Schifffahrt berichten, die mit dieser Praxis vertraut sind. 70 Tanker, die früher iranisches oder venezolanisches Öl transportierten, haben seit der Invasion von Russland aus verschifft, sagte Analyst Armen Azizian vom Schiffs-Trackingspezialisten Vortexa. Lässt man die staatlichen Tanker dieser beiden Länder außen vor, so entspricht die Zahl mehr als einem Fünftel der "Schattenflotte", die es bereits vor dem Ukrainekrieg gab.


 Für alte Tanker muss immer mehr hingeblättert werden 

Die Schifffahrtsbranche wird in diesem Jahr mit Angeboten für alte Tanker geradezu überschwemmt, sagen ihre hochrangigen Vertreter, darunter auch Barstad vom Tankerhersteller Frontline. Häufig kämen die Anfragen von neuen Schiffsmaklern im Namen von eher unbekannten Firmen aus Dubai und China. Die Preise für Tanker, die eigentlich vor dem Abwracken stehen, klettern entsprechend. Ein 15 Jahre alter, großer Rohöltanker etwa hat sich in den vergangenen sechs Monaten um 37 Prozent auf 52 Millionen US-Dollar verteuert, sagte Stephen Gordon vom Schiffsmakler Clarkson.

Einem griechischen Eigner gelang es im Spätsommer, ein 22 Jahre altes Schiff der Eisklasse für 32 Millionen Dollar loszuwerden, dass 2021 noch mit 17 Millionen Dollar bewertet worden sei, wie Führungskräfte der Reederei sagten. Noch nie, so erklärten sie, hätten sie einen derart hohen Aufschlag gesehen. Ein weiterer Eigner, der im September einen 18 Jahre alten, kleineren Suezmax-Tanker nach Dubai verkaufte, berichtet, dass das Schiff inzwischen russisches Öl von Noworossijsk am Schwarzen Meer über die Türkei und nach China transportiere.

Anders als im Fall des Iran, dessen Ölverkäufe durch die US-Sanktionen weltweit verboten sind, werden Kauf und Verkauf von russischem Rohöl auch nach Inkrafttreten der neuen Sanktionen legal sein. Aber Händler müssen entweder das Risiko eingehen, das russische Öl ohne Absicherung durch westliche Versicherungen zu verschiffen. Oder sie müssen es zu Preisen kaufen, die den vom Westen verhängten Deckel von maximal 60 US-Dollar pro Barrel nicht verletzen.

Indien, China und die Türkei haben bereits einen Teil des russischen Öls abgenommen, das zuvor nach Europa verkauft wurde. Der Handel mit russischem Öl wurde nach dem Überfall auf die Ukraine lukrativ, da es mit einem Abschlag auf Benchmark-Preise gekauft werden konnte. Nach der Raffinierung werden die Endprodukte dann zu Marktpreisen gehandelt, was den Beteiligten beträchtliche Gewinnspannen verschafft.


 Der Westen zielt auf Schwachstellen des Kremls 

Zur Gruppe der Käufer alter Tanker gehören die in Dubai ansässigen Reedereien Teodor Shipping und Koban Shipping, wie einige mit den Geschäften vertraute Personen berichten. Beide Gesellschaften reagierten nicht auf Anfragen für eine Stellungnahme. Ein Reporter des Wall Street Journal wurde bei einem Besuch von Koban in Dubai des Büros verwiesen. Teodor wollte der Reederei Dorian laut deren Vertreter John Hadjipateras einen mittelgroßen Rohöltanker der Aframax-Klasse für 33 Millionen Dollar abkaufen, der an einen Kunden verchartert war. Das 2009 gebaute Schiff war 2021 mit 27 Millionen Dollar bewertet worden. Hadjipateras verzichtete auf das lukrative Geschäft mit Verweis auf die US-Behörden.

Die westlichen Sanktionen zielen auf eine Schwachstelle in der russischen Energiewirtschaft. Das Land ist beim Öltransport auf ausländische Schiffe angewiesen, die meist in Europa versichert und rückversichert sind. Die Sanktionen brachten die staatliche russische Reederei PAO Sowkomflot im Frühjahr in massive Bedrängnis: Sie musste etwa ein Dutzend Schiffe veräußern um zu verhindern, dass sie von westlichen Kreditgebern beschlagnahmt werden.


 Moskau fehlen wohl Tanker zum Öltransport 

Koban hat fünf Tanker von Sowkomflot übernommen, wie das Wall Street Journal berichtete. Eines der Schiffe, die Cangjie, übernahm laut dem Energiedatenunternehmen OPIS im Juni im östlichen Schwarzen Meer im Wege eines Schiff-zu-Schiff-Transfers raffinierten russischen Kraftstoff von der Wladimir Monomach, einem vom Staatskonzern Rosneft gecharterten Tanker. Beide legten dazu vor dem russischen Hafen Port Kawkaz in der Straße von Kertsch Anker.

Anoop Singh, bis kürzlich Chef der des Tanker-Researchs beim Schiffsmakler Braemar, schätzt, dass Moskau nicht mehr ausreichend Schiffe hat, sein Öl zu transportieren, wenn Russland von der westlichen Tankerflotte abgeschnitten ist. Das gelte auch, wenn alle seit Kriesgbeginn im Februar verkauften alten Tanker für Russland führen, meint er.

Abhängig von der Schiffsgeschwindigkeit und dem Wetter auf der Ostsee könnten Russland laut Singh etwa 1,5 Millionen Barrel täglich fehlen bis zum bisherigen Exportvolumen von 7,8 Millionen Barrel am Tag. Schiffe der "Schattenflotte" dürften das Öl nicht so effizient transportieren wie die reguläre Flotte. Denn zum einen fahren ältere Schiffe langsamer, und zum anderen könnten unversicherte Tanker an Engstellen wie dem Bosporus und dem Suezkanal von Behörden aufgehalten werden, sagen Händler.

(Mitarbeit: Benoit Faucon und Rory Jones)

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December 05, 2022 08:15 ET (13:15 GMT)