Von Rochelle Toplensky

NEW YORK (Dow Jones)--Kernenergie vereint ein paar selten gewordene Eigenschaften auf sich. Sie ist eine kohlenstofffreie Energiequelle, die nicht überbewertet wird und in Washington parteiübergreifende Unterstützung genießt. Die große Frage ist nun, ob neuere Technologien der Kernkraft, die die Kosten senken könnten, tatsächlich funktionieren. Regierungen überdenken derzeit den Ausstieg aus der Kernenergie, da sie in der Lage ist, berechenbare kohlenstofffreie Energie zu liefern. Die Kernspaltung, bei der Atome gespalten werden, um Energie freizusetzen, war das Wunderkind der 1960er und 1970er Jahre, fiel aber nach den Katastrophen von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima in Ungnade.

Auch wenn es Orte gibt, an denen die Kernenergie wegen der Sicherheitsrisiken und des Abfallproblems vor dem Aus steht, wie etwa in Deutschland, gehen die meisten großen Volkswirtschaften davon aus, dass sie in ihren Netto-Null-Energiemix aufgenommen wird. In US-Präsident Joe Bidens 1,2 Billionen US-Dollar schwerem Infrastrukturgesetz sind mindestens 8,5 Milliarden Dollar für Kernenergie vorgesehen. Die EU erwägt, die Kernenergie als umweltfreundlich einzustufen. Großbritannien, Russland, China, Japan und Südkorea wollen alle, dass die Kernenergie eine Rolle spielt. Angesichts der Kosten und Herausforderungen beim Bau neuer Reaktoren ist derweil politische Unterstützung wichtig.


   Trend geht zu kleineren Kernkraftanlagen 

Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit der Kernenergie rechtfertigen Skepsis. Trotz jahrzehntelanger Erfahrung sind neue große Kernspaltungsreaktoren nach wie vor maßgeschneiderte Megaprojekte, die häufig von Bauverzögerungen und Kostenüberschreitungen begleitet werden. Nach Angaben von Lazard liegen die Energiekosten zwischen 131 und 204 Dollar pro Megawattstunde und damit höher als bei fast allen anderen Energieformen. Die Kernenergie hat sich generell dem Trend widersetzt, indem sie im Laufe der Jahre eher teurer als billiger geworden ist.

"Modulare" Kernspaltungsanlagen sind das eigentliche Versprechen. Einfachere Konstruktionen, standardisierte Komponenten und passive Sicherheitsmerkmale tragen zur Kostensenkung bei. Dank ihrer geringen Größe lassen sich leichter Standorte finden und in ein Netz mit intermittierenden erneuerbaren Energien integrieren. Befürworter schätzen, dass modulare Reaktoren die Kosten und die Bauzeit herkömmlicher Reaktoren mehr als halbieren könnten.


   Angst vor neuerlichen Katastrophen 

Ein Ansatz nutzt bestehende Technologien für den Bau kleiner modularer Reaktoren, so genannter SMRs. Sie erzeugen zwischen einigen wenigen Megawatt (MW) und 500 Megawatt, verglichen mit etwa 1.000 oder mehr bei einem typischen konventionellen Reaktor. Durch die kontrollierte Spaltungsreaktion wird Uran gespalten, wodurch Wasser zu Dampf erhitzt wird, der eine Turbine zur Stromerzeugung antreibt. Das Wasser kühlt auch den Reaktor. Bei SMR-Kernreaktoren werden passive Sicherheitsvorkehrungen getroffen, wie zum Beispiel die Unterbringung unter der Erde oder in einem Wasserbecken, um den Bedarf an teureren Maßnahmen zu verringern. Das macht ihren Bau billiger, aber die Gegner befürchten, dass dies ein Rezept für noch mehr Katastrophen sein könnte.

Viele Unternehmen arbeiten derzeit an SMRs. Das russische Unternehmen Rosatom hat SMR-Anlagen auf Schiffen in der Arktis gebaut. Das in Oregon ansässige Unternehmen Nuscale hat die Genehmigung der US-Nuklearaufsichtsbehörde für sein SMR-Konzept erhalten und im vergangenen Monat einen Vertrag über den Bau eines solchen Reaktors in Rumänien bis 2027 bekannt gegeben. Der britische Triebwerkshersteller Rolls Royce hat vor kurzem ein Konsortium mit dem in Chicago ansässigen Unternehmen Exelon Generation gegründet. Dieses wird SMR-Kraftwerke bauen, von denen das erste im Jahr 2031 in Betrieb gehen soll. Auch die China National Nuclear Corporation, EDF und Holtec haben SMR-Pläne.


   Fortschrittliche Konzepte sollen neue Supergaus verhindern 

Andere versuchen, modulare Reaktoren mit neuen Technologien zu bauen, zum Beispiel mit neuartigen Kernbrennstoffen oder Kühlsystemen mit Gas oder Salz anstelle von Wasser. Diese fortschrittlichen Konzepte sollen das Risiko von Unfällen verringern und mehr Flexibilität für schwankende Stromerzeugung bieten. Am weitesten fortgeschritten ist das chinesische Unternehmen Chinergy, das vor kurzem einen gasgekühlten Hochtemperaturreaktor mit einer Leistung von 200 MW in Shandong fertiggestellt hat. Dieser dürfte voraussichtlich Ende dieses Jahres seine Elektrizität in das chinesische Stromnetz einspeisen. Auch Terrestrial Energy, BWX Technologies und Seaborg Technologies haben vielversprechende Konzepte und Ambitionen.

Im Jahr 2020 hat das Advanced Reactor Demonstration Program des US-Energieministeriums zwei Demonstrationsanlagen für weiterentwickelte Kernreaktoren mitbegründet, die bis 2027 fertiggestellt werden sollen. Die erste wird von dem von Microsoft-Gründer Bill Gates unterstützten Unternehmen Terrapower in Zusammenarbeit mit GE-Hitachi entwickelt. Es handelt sich um einen natriumgekühlten Schnellreaktor mit 345 MW Leistung und integrierter Energiespeicherung, der auf dem Gelände eines stillgelegten Kohlekraftwerks in Wyoming errichtet werden soll. Das zweite Projekt wird im Bundesstaat Washington von X-Energy mit vier seiner heliumgasgekühlten 80-MW-Reaktoren gebaut, die mit speziellen Uran-Kugeln betrieben werden. Es könnte auch zur Erzeugung von Wasserstoff oder zur Entsalzung von Wasser verwendet werden. Im Infrastrukturgesetz von Biden sind 2,5 Milliarden Dollar für diese beiden Projekte vorgesehen.


   Sogar die Kernfusion könnte vor einem Revival stehen 

Selbst im Bereich der Kernfusion - der Kombination von Atomen zur Energieerzeugung - gibt es Innovationen, die mit weniger Sicherheits- und Abfallproblemen verbunden sind. In diesem Monat sicherte sich Commonwealth Fusion Systems eine Finanzierung in Höhe von 1,8 Milliarden Dollar mit dem Versprechen, in den 2030er Jahren Reaktoren zu bauen. Viele sind jedoch der Meinung, dass die kommerziell nutzbare Fusion noch in weiter Ferne liegt.

Kernenergie ist ein schwieriges Thema für Aktienanleger. Modulare Reaktoren sind ein Nebengeschäft für Unternehmen wie EDF, Rolls Royce, Exelon und die Muttergesellschaft von Nuscale, Fluor Corp. Spezialisten wie Terrapower, X-Energy und Commonwealth Fusion Systems sind noch nicht an der Börse notiert.

Im Moment ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Die neuesten Nukleartechnologien wie SMR und weiterentwickelte Reaktoren haben die Chance, kostengünstige Energie zu liefern, müssen aber ihre Rentabilität noch unter Beweis stellen. Trotz der Bekanntheit der Kernspaltung als kohlenstofffreie Energiequelle stehen ihre Investment-Chancen für Anleger heute noch ganz am Anfang.

Kontakt zur Autorin: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/uxd

(END) Dow Jones Newswires

December 21, 2021 06:17 ET (11:17 GMT)