Von Jack Pitcher

NEW YORK (Dow Jones)--Vor 30 Jahren läuteten die Märkte mit dem ersten börsengehandelten Fonds (ETF) eine neue Ära des Investierens ein. Inzwischen macht die Branche selbst exotische Handelsstrategien für die breite Masse zugänglich.

Der SPDR-S&P-500-ETF-Trust, der den US-Benchmark-Aktienindex abbildet, gab Anlegern zum ersten Mal die Möglichkeit, Hunderte von Aktien über eine einzige, öffentlich gehandelte Aktie zu kaufen und zu verkaufen. Der SPDR-Indexfonds und die nachfolgenden ETF machten die Idee populär, einfach dem Markt zu folgen, eine Strategie, die als passives Investieren bekannt ist.

Heute gibt es ETF, die Dutzende von Anlageklassen, Sektoren und Anlagethemen abbilden. Die Fonds werden wegen ihrer niedrigen Gebühren und ihrer vorteilhaften Steuerstruktur im Vergleich zu traditionellen Investmentfonds bevorzugt. Ihre Beliebtheit nimmt weiter zu, selbst inmitten eines Bärenmarktes.


Sogwirkung mit Verzögerung 

Als der SPDR-Fonds Ende Januar 1993 auf den Markt kam, konnte kaum jemand seine Wirkung vorhersehen. "Damals war es kein Wendepunkt, aber heute sind ETF aus dem Anlagegeschäft nicht mehr wegzudenken", berichtet Todd Rosenbluth von Vettafi. "Eine ganze Generation von Anlegern denkt nur noch daran, ETFs für ein diversifiziertes Engagement zu nutzen. Sie haben Märkte erschlossen, zu denen es früher schwieriger war, Zugang zu erhalten."

Die Branche weitet sich rasch aus und bietet auch aktives Management und exotischere Anlageprodukte wie gehebelte und inverse Fonds an. Befürworter sagen, dass das Angebot an billigen Anlagemöglichkeiten zur Demokratisierung des Investierens beigetragen habe. Andere verweisen auf das rasche Wachstum riskanter ETFs, die mit Hilfe von Hebeleffekten sowohl die Renditen als auch die Verluste erhöhen, und schlagen wegen der möglichen Folgen für unerfahrene Anleger Alarm.


Indexfonds finden immer mehr Anklang am Markt 

Seit Jahren haben ETF gegenüber Investmentfonds, der traditionellen breit anlegenden Anlageoption, die in den USA immer noch von 401(k)-Rentenplänen bevorzugt wird, an Boden gewonnen. Dieser Trend hat sich 2022 beschleunigt. Den Daten von Morningstar Direct zufolge sind ETF in den USA 2022 netto fast 600 Milliarden US-Dollar zugeflossen und damit nur den Rekordwert von 2021 übertroffen.

Aus Investmentfonds zogen die Anleger dagegen fast 1 Billion Dollar ab. Das war die größte Differenz zwischen den Produktgruppen, die je verzeichnet wurde. Allerdings sind die ETF nicht auf dem besten Weg, die Investmentfonds bald zu überholen. Ende 2022 belief sich das verwaltete Vermögen der ETF auf 6,5 Billionen Dollar, das der Investmentfonds auf 16,3 Billionen Dollar. Der SPDR ETF ist nach wie vor der größte börsengehandelte Fonds, ein Gigant mit einem verwalteten Vermögen von rund 370 Milliarden Dollar.

Die meisten börsengehandelten Fonds ähneln indexgebundenen Investmentfonds, die jedoch mehrere entscheidende Vorteile aufweisen. ETF können während des gesamten Handelstages ge- und verkauft werden, im Gegensatz zu Investmentfonds, die ihren Preis einmal täglich zum Börsenschluss festlegen.


Niedrige Gebühren 

Am wichtigsten ist vielleicht, dass ihre Gebühren deutlich niedriger sind. Die durchschnittliche Kostenquote für Indexaktien-ETF lag 2021 bei 0,16 Prozent, verglichen mit 0,47 Prozent für Aktienfonds, so das Investment Company Institute.

Der Ausverkauf des vergangenen Jahres hat die Anleger wahrscheinlich daran erinnert, ihre Portfolios neu zu bewerten, was eine weitere Verbreitung von ETF ausgelöst hat, so Matthew Bartolini von State Street Global Advisors. "Wenn man unterdurchschnittliche aktive Manager mit hohen Gebühren hat und mit einer Kapitalertragssteuer belastet wird, wird das dazu führen, dass die Leute abwandern", urteilt Bartolini.


Indexfonds schaffen Schlupflöcher beim Fiskus 

Der Abschwung bot cleveren Anlegern die Möglichkeit, Steuerverluste zu nutzen - Fonds zu verkaufen, um einen Verlust zu realisieren und diesen steuerlich abzuschreiben. Eine beliebte Strategie zur Nutzung von Steuerverlusten ist der Verkauf eines Investmentfonds und der schnelle Kauf eines ETF mit ähnlichen Beständen. Diese als Wrapper Swap bekannte Praxis ermöglicht es den Anlegern, einen Verlust für Steuerzwecke zu realisieren und gleichzeitig investiert zu bleiben.

Das Wachstum der börsengehandelten Fonds wird auch durch das Aufkommen aktiver Strategien und anderer neuer Produkte gefördert. Nach Angaben von Morningstar machten passive Strategien 2022 immer noch 95 Prozent des ETF-Marktes aus. Aber von den 431 neu aufgelegten ETF verfolgten mehr als die Hälfte aktive Strategien, so Rosenbluth. Aktive Fonds verzeichneten im vergangenen Jahr 15 Prozent der gesamten ETF-Ströme und erreichten damit fast 100 Milliarden Dollar - ein Rekordwert.


Vorstoß in den spekulativen Sektor 

Zu den beliebten aktiven ETFs gehört Cathie Woods ARK Innovation, ein aktiver Fonds, der in "disruptive" Unternehmen investiert, in erster Linie also unrentable Firmen im Technologiesektor. Die Anteile dieses bei Privatanlegern beliebten Fonds, der während der Pandemie einen Höhenflug erlebte, stürzten 2022 um 67 Prozent ab. Doch trotz der schlechten Kursentwicklung flossen weiterhin Gelder in ARK.

Einzelanleger zeigten ein ähnliches Interesse an anderen spekulativen ETF-Angeboten, einschließlich gehebelter Fonds, was Anlass zur Sorge gibt, dass die Branche es Einzelpersonen zu leicht macht, riskante Wetten einzugehen.


Der Tesla-ETF 

Der Direxion-Daily-TSLA-Bear-1x-Shares-ETF, der im August aufgelegt wurde, zielt beispielsweise darauf ab, die Kursentwicklung der Aktien von Tesla genau umgekehrt abzubilden.

Laut Bartolini von State Street ist dieser ETF der erste, der sich auf eine einzige Aktie bezieht. Er ist das jüngste Beispiel dafür, dass börsengehandelte Fonds einen breiten Zugang zu der Art von Handel ermöglichen, die früher institutionellen oder sehr vermögenden Anlegern mit Zugang zu Wall-Street-Händlern vorbehalten war. "Ich hoffe für die Anleger, die gehebelte Fonds nutzen, dass sie wirklich ihre Hausaufgaben gemacht haben und die Risiken verstehen, die mit diesen Produkten verbunden sind", sorgt sich Direktorin Elisabeth Kashner von Factset.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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(END) Dow Jones Newswires

January 23, 2023 10:16 ET (15:16 GMT)