Von Tom Fairless

FRANKFURT (Dow Jones)--Die boomende US-Wirtschaft wirkt sich auf die ganze Welt aus. Sie saugt Importe an, belastet die globalen Lieferketten und treibt die Preise nach oben. Die Kraft der amerikanischen Wirtschaftsexpansion veranlasst auch ausländische Unternehmen dazu, in den USA zu investieren, da sie darauf spekulieren, dass sich das Wachstum weiter beschleunigt und andere große Volkswirtschaften übertrifft. Derweil greifen die US-Verbraucher, die mit Billionen von Dollar an fiskalischen Anreizen überschwemmt wurden, nach Industriegütern und knappen Materialien.

Nach ersten Schätzungen der US-Notenbank Fed - und hier derjenigen aus Atlanta - wird die US-Wirtschaftsleistung in den letzten drei Monaten des Jahres auf Jahresbasis um mehr als 7 Prozent wachsen, gegenüber etwa 2 Prozent im Vorquartal. Im Vergleich dazu erwartet JP Morgan für das vierte Quartal ein annualisiertes Wachstum von etwa 2 Prozent in der Eurozone und 4 Prozent in China. Die großen US-Häfen wickeln in diesem Jahr fast ein Fünftel mehr Containervolumen ab als 2019, während die Volumina in großen europäischen Häfen wie Hamburg und Rotterdam etwa gleichbleiben - oder hinter dem Niveau von 2019 herhinken. Die verkehrsreichsten US-Containerhäfen überholen ihre Pendants in Asien und Europa in der globalen Rangliste, da das Volumen stark ansteigt, so der Schifffahrtsdatenanbieter Alphaliner.


   Maue Konjunkturdaten in Europa und China 

In Europa "ist der Konsum langlebiger Güter nicht mit dem Boom in den USA vergleichbar", schätzt Fabio Panetta, Mitglied des sechsköpfigen Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), die Lage ein. Der Verbrauch langlebiger Güter ist in den USA um 45 Prozent über das Niveau von 2018 geschossen, während er in der Eurozone nach Angaben der EZB nur um etwa 2 Prozent zugenommen hat. Die Preise ab Werk in China liegen weit über den Verbraucherpreisen, was auf eine Kluft zwischen der schwachen Inlandsnachfrage und der starken Auslandsnachfrage hinweist, die insbesondere durch den Hunger der USA nach chinesischen Industriegütern angetrieben wird.

Zwar spielen auch angespannte globale Lieferketten eine Rolle bei der weltweiten Inflation, doch weisen Ökonomen und Zentralbanker zunehmend auf die ultrastarke US-Nachfrage als Hauptursache hin. "Verdrängen wir die Verbraucher in anderen Ländern? Wahrscheinlich", räumt Finanzökonomin Aneta Markowska von Jefferies in New York ein. "Der US-Verbraucher hat aufgrund der Steuerpolitik viel mehr Kaufkraft als die Verbraucher in anderen Ländern. Als Folge davon könnte Europa im nächsten Jahr in ein Stagflationsszenario geraten."


   US-Wirtschaft so robust wie seit Jahrzehnten nicht mehr 

Nach Angaben der Bank of England entfallen fast neun Zehntel des rund 22 Prozentpunkte betragenden Anstiegs der Nachfrage nach langlebigen Gütern in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit Ende 2019 auf die USA. "Die sehr starke Nachfrage in den USA ist sicherlich der Ausgangspunkt für globale Lieferengpässe", ist sich Lars Mikael Jensen von AP Moller-Maersk sicher. "Der Anstieg des Volumens in den USA nimmt Schiffe von anderen Märkten weg", meint Jensen weiter. "Probleme an einem Ort werden anderswo Probleme auslösen, wir leben in einer globalen Welt."

Die US-Wirtschaft wird 2021 voraussichtlich um rund 6 Prozent und 2022 um 4 Prozent oder mehr wachsen, die höchsten Raten seit Jahrzehnten, so Analysten. Die starke Wachstumsdynamik in den USA dürfte die Arbeitslosenquote bis 2023 auf den niedrigsten Stand seit fast sieben Jahrzehnten drücken, wie es von Analysten der Deutschen Bank heißt.

Laut JP Morgan wird die US-Wirtschaftsleistung zu Beginn des nächsten Jahres wahrscheinlich den Wert vor der Pandemie übertreffen, während die Leistung in China und den Schwellenländern bis 2023 um etwa 2 Prozent unter diesem Wert liegen dürfte. Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), einer in der Schweiz ansässigen Bank für Zentralbanken, klettern die Löhne in den USA jährlich um etwa 4 Prozent und rangieren damit über der Trendrate vor der Krise, während sie in der Eurozone um weniger als 1 Prozent wachsen.


   Fed-Chef zeigt sich nachdenklich 

"Wir haben die Wirtschaft stark unterstützt, und was jetzt herauskommt, ist ein wirklich starkes Wachstum, eine wirklich starke Nachfrage, hohe Einkommen und all diese Dinge", so Fed-Chef Jerome Powell nach der jüngsten Sitzung der Zentralbank. "Die Menschen werden in 25 Jahren beurteilen, ob wir es übertrieben haben oder nicht." Zugleich erklärte die Fed, sie werde ihre Anleihekäufe im Umfang von 19 Milliarden Euro schneller zurückfahren und die Voraussetzungen für eine Reihe von Zinserhöhungen ab dem nächsten Frühjahr schaffen.

In Europa verpflichtete sich die EZB, ihre Anleihekäufe mindestens bis Oktober 2022 fortzusetzen, und erklärte, dass sie die Zinsen im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht anheben werde. Die zugrunde liegende Inflation in den USA ist auf Jahresbasis über zwei Jahre hinweg auf über 3 Prozent geklettert und damit etwa doppelt so hoch wie in der Eurozone. Das geht aus Daten hervor, die um die Auswirkungen der Pandemie und die Veränderungen bei den volatilen Lebensmittel- und Energiepreisen bereinigt sind. "Die starke Erholung nach der Pandemie, die ursprünglich für 2022 erwartet wurde, ist immer noch nicht eingetreten", so Timo Wollmershäuser, Leiter der Prognosen beim deutschen Ifo Think Tank. Das Institut hat kürzlich seine Wachstumsprognose für Deutschland für 2022 um 1,4 Prozentpunkte auf 3,7 Prozent gesenkt und begründet dies mit anhaltenden Angebotsengpässen und einer neuen Welle von Covid-19.

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December 21, 2021 10:20 ET (15:20 GMT)