Sehr geehrter, lieber Herr Rukwied,
liebe Julia Klöckner, die Du auch dabei bist,
sehr geehrte Delegierte,
meine Damen und Herren,

ich grüße Sie herzlich auf dem Deutschen Bauerntag. - Die kurze Verspätung hat dazu geführt, dass Sie gleich noch etwas vom Tag des offenen Hofes zeigen konnten. Wir nennen das im Kanzleramt Tag der offenen Tür. Der kann in diesem Jahr auch nur digital stattfinden. - Ich bin sehr, sehr gerne wieder mit dabei.

Das Motto dieses Bauerntags sagt es ja: Sie nehmen die Zukunft der Landwirtschaft in den Blick. Aber es ist natürlich - und vielleicht auch zwangsläufig; so ist das mit der Zukunft - ein Blick ins Ungewisse, gerade auch angesichts des Wandels, den Ihr Wirtschaftszweig erlebt. Die globalen Märkte verändern sich und mit ihnen die Wettbewerbsverhältnisse. Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich ständig weiter. Gleichzeitig steigen die Anforderungen hinsichtlich der Produkte und Produktionsweisen.

Heute erzeugt die Landwirtschaft in Deutschland nicht nur Lebens- und Futtermittel, sondern sie produziert auch nachwachsende Rohstoffe und sorgt für erneuerbare Energien. Sie prägt und pflegt unsere Kulturlandschaften und sorgt nicht zuletzt für Arbeitsplätze und Einkommen in ländlichen Räumen.

Die Landwirtschaft ist eben nicht einfach nur ein Teil unserer Gesellschaft, sondern an sie richten sich vielmehr unglaublich hohe Erwartungen, was vor allem gesunde Lebensmittel anbelangt, die umweltschonend und unter Einhaltung hoher Tierwohlstandards hergestellt werden und trotzdem bezahlbar sind. Angesichts dessen nehme ich es sehr ernst, wenn viele Landwirte beklagen, dass sie nicht wissen, wie sie den hohen Erwartungen gerecht werden und zugleich im Wettbewerb bestehen können. Wir müssen sehen, dass auch die Gesellschaft Verantwortung trägt, indem jeder und jede Einzelne überprüft, inwieweit das eigene Konsumverhalten den eigenen Erwartungen entspricht.

An dieser Stelle kommt auch die Politik ins Spiel, denn sie hat geeignete Rahmenbedingungen zu setzen, damit die Landwirtschaft hinreichend Ein- und Auskommen bieten kann und die Betriebe - Ihre Betriebe - eine Zukunft haben. In jedem dieser Betriebe steckt ja unglaubliche Leidenschaft. Starke internationale Konkurrenz und hoher Wettbewerbsdruck, sich verändernde Umweltbedingungen und nicht zuletzt steigende Boden- und Pachtpreise - vor einem solchen Hintergrund verdienen der ländliche Raum und die Landwirtschaft eine ganz besondere Aufmerksamkeit gerade auch der Politik. Sowohl die konventionelle als auch die ökologische Landwirtschaft müssen sich für die Betriebe rechnen können. Dies muss auch gelten, wenn sich die Arbeit infolge neuer Anforderungen verändert. Das steht für mich völlig außer Zweifel. Deshalb wird die Landwirtschaft mit erheblichen öffentlichen Mitteln unterstützt.

Doch ebenso außer Zweifel steht: Wer staatliche Unterstützung erfährt, ist in besonderem Maße dem Allgemeinwohl verpflichtet. Das schließt auch die Bereitschaft zu Veränderungen mit ein. Wir brauchen diese Bereitschaft zur Veränderung sowohl bei der Landwirtschaft als auch bei den Verbrauchern. Angesichts von Klimawandel, Flächenverbrauch und der Zerstörung von Ökosystemen wächst das allgemeine Bewusstsein, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen und dass wir nicht so weitermachen dürfen wie bisher, sondern unsere Wirtschafts- und Lebensweisen ändern müssen, und zwar alle. Diese Transformation betrifft sämtliche Bereiche - und somit eben auch die Landwirtschaft.

Ich weiß, dass viele Landwirte unglaublich kreative Ideen entwickeln und neue Lösungen ausprobieren, um ökonomischen, ökologischen und sozialen Erfordernissen gleichermaßen zu entsprechen. Gute Ideen entwickeln sich am besten im Dialog. Daher war es sehr wichtig, die Zukunftskommission Landwirtschaft einzuberufen. Hier sind die verschiedenen Gruppen vertreten, die für die Landwirtschaft von Relevanz sind. Bei allen unterschiedlichen Perspektiven eint die Kommissionsmitglieder das Interesse an einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Landwirtschaft. Sie loten Wege aus, auf denen sich die Herausforderungen des Umwelt-, Natur-, Klima- und Tierschutzes bewältigen lassen und die zugleich der Landwirtschaft gute Perspektiven bieten. Ich habe mir das neulich selbst von zwei Vertretern der Jugend aus dem Umwelt- und dem Landwirtschaftsbereich anhören können. Das war sehr bewegend, weil jeder über die andere Seite gesprochen hat.

Es kann nicht um ein Entweder-oder gehen, wir brauchen ein Sowohl-als-auch. Und so bin ich natürlich auf den Abschlussbericht der Zukunftskommission sehr gespannt, den ich Anfang Juli erwarte. Dieser Bericht wird der Grundstein für die Diskussion über den weiteren Weg der Landwirtschaft sein.

Eine besondere Herausforderung ist natürlich der Klimaschutz. Noch ist eine Landwirtschaft ganz ohne Treibhausgasemissionen nicht vorstellbar. Doch es gibt vielfältige Möglichkeiten, wie die Landwirtschaft stärker als bislang zum Klimaschutz beitragen kann. Julia Klöckner hat heute im Kabinett sehr interessante und innovative Ansätze angedeutet. Das Spektrum reicht von der CO2-Speicherung in Böden, die eher langfristig wirkt, über Veränderungen in der Nutztierhaltung bis hin zum Einsatz innovativer Technik beim Düngen.

Ich bin überzeugt, dass wir mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes einen tragfähigen Kompromiss für die Land- und Forstwirtschaft gefunden haben. Der Sonderrolle der Landwirtschaft wird darin Rechnung getragen. Zudem schaffen wir Anreize, um unseren ehrgeizigen Klimazielen gerecht zu werden. Wir fördern also auch im Agrarsektor klimafreundliche Investitionen.

Auch verschiedene Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes dienen dem Klimaschutz. Das gilt auch für Maßnahmen im Bereich des Tierwohls. Die Tierhaltung ist nicht nur ein ökonomisch bedeutsamer Zweig der Landwirtschaft, sondern spielt auch eine große Rolle für ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Inzwischen gibt es fundierte Vorschläge des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung. Wir haben Machbarkeitsstudien und Folgenabschätzungen. All dem ist zu entnehmen, dass es bei Fragen um Verbesserungen des Tierwohls nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie geht.

Klar ist, dass Tierhalter Planungssicherheit brauchen. Daher begrüße ich, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Machbarkeitsstudie für den Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl eingeholt hat. Diese Studie zeigt Möglichkeiten der Umsetzung auf, die es sorgfältig abzuwägen gilt. Wir brauchen rechtssichere und praktikable, aber auch politisch vermittelbare Lösungen. Die inhaltlichen Grundlagen für politische Entscheidungen haben wir also - und damit auch eine gute Basis, um dann noch die offenen Fragen der Finanzierung zu klären. Wir sollten den derzeitigen parteiübergreifenden Konsens nutzen, um eine nachhaltige Nutztierhaltung voranzubringen und so dem Sektor insgesamt eine Perspektive zu geben.

Dies führt uns auch zu dem dringenden und im Grundsatz unstrittigen Anliegen des Insektenschutzes. Die Bundesregierung hat das Aktionsprogramm Insektenschutz beschlossen. Umgesetzt haben wir es mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes und der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung. - Ich habe selbst viele Gespräche darüber geführt und weiß um die Emotionalität. - Damit verbunden sind Anpassungen, die für einzelne Betriebe zum Teil erhebliche Einschnitte bedeuten können. Ich und natürlich auch die Landwirtschaftsministerin Juliane Klöckner, wir haben die Sorgen der Landwirtschaft sehr, sehr ernst genommen. Daher sieht die jetzige Fassung Möglichkeiten zur Fortführung bereits bestehender Länderregelungen und Kooperationen vor. Das betrifft vor allem auch die Förderung.

Um trotzdem auftretende Belastungen der Landwirtschaft abzufedern, gibt es viele Fördermaßnahmen. Neben der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ist die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes bereits langjährig erprobt. Diese werden wir auch zur Stärkung des Insektenschutzes fortführen und dafür zusätzlich jährlich 65 Millionen Euro bereitstellen. Juliane Klöckner hat darauf geachtet, dass es bei den Bauern auch ankommt.

Mir ist bewusst, wie umstritten das Paket zum Insektenschutz immer noch ist. Wir sollten aber immer auch bedenken, dass sich das Problem nicht gelöst hätte, wenn wir nichts beschlossen hätten. Im Gegenteil, es würde nur noch drängender. Das würde zwangsläufig noch weitreichendere Anpassungen erfordern und Ihnen, den Bauern, auch nicht mehr Planungssicherheit geben. Kurzum: Wir gewinnen nichts, wenn wir Anpassungen in die Zukunft verschieben.

Was passiert, wenn wir zu zögerlich vorgehen, zeigen die Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie durch das Düngerecht und die Schwierigkeiten, vor denen wir noch letztes Jahr gestanden haben. Wie Sie wissen, ist Deutschland aufgrund der hohen Belastung des Wassers mit Nitrat verklagt worden. Ich denke, dass mit dem jetzt im Raum stehenden Paket zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und zum Insektenschutz ein tragbarer Kompromiss gefunden wurde - ein Kompromiss, der sich durch Verbesserungen zum Schutz der Biodiversität, durch Ausnahmen dort, wo Folgen der Maßnahmen unvertretbar erscheinen, sowie durch Ausgleich und Förderung, damit sich der Biodiversitätsschutz auch rechnet, auszeichnet. Dabei setzen wir auf einen kooperativen Ansatz.

Eines der wichtigsten Instrumente auch zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Wir haben im vergangenen Jahr ja auch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs lange darüber verhandelt. Ich denke, dass der Rahmen für die nächsten sieben Jahre für Sie insgesamt vertretbar ist. Manche haben Schlimmeres befürchtet. Wir haben uns aber sehr stark eingesetzt, ich mich auch persönlich. Zu der weiteren Gestaltung befinden sich die Verhandlungen in Brüssel derzeit in der Schlussphase. Wir in der Bundesregierung haben bereits Eckpunkte zur nationalen Umsetzung auf den Weg gebracht.

Wichtig ist: Die Gemeinsame Agrarpolitik wird ziel- und ergebnisorientierter. Sie leistet mehr für Umwelt- und Naturschutz. Und sie stärkt insbesondere kleine und mittlere Betriebe mit einkommenswirksamen Zahlungen.

In den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU, der bis 2027 gilt, war es mir wichtig, die Mittel für die GAP zu sichern. Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht, brauchen die Betriebe möglichst lange Planungssicherheit. Ich bin deshalb froh, dass wir uns erfolgreich dafür einsetzen konnten, dass die GAP mit nahezu gleichbleibendem Budget fortgeführt wird und die Finanzierung bis 2027 gesichert ist.

Planungssicherheit ist auch für die Zukunftsperspektiven der Junglandwirtinnen und Junglandwirte von großer Bedeutung. Die Jugend brauchen wir ja, um auch in Zukunft eine heimische Lebensmittelproduktion zu haben, um den Klimaschutz voranzutreiben und die Artenvielfalt zu erhalten sowie um weiterhin Kulturlandschaften zu pflegen und ländliche Räume zu stärken. Ich finde, das sind mehr als genügend Gründe dafür, warum es so wichtig ist, dass junge Menschen diesen Beruf ergreifen, Verantwortung übernehmen und Familientraditionen nicht nur fortführen, sondern eben auch fortentwickeln.

Gleichwohl will ich nichts schönfärben. Es ist ein fordernder Beruf, der vollen Einsatz und sehr, sehr viel Vielseitigkeit verlangt. Aber es ist auch ein Beruf, der Erfüllung und Chancen versprechen kann - auch wegen der vielen Möglichkeiten, die etwa der gemeinsame Binnenmarkt und das Erneuerbare-Energien-Gesetz bieten oder die sich durch Direktvermarktung, Erzeugung von Spezialitäten und im Tourismus ergeben. Daher will ich junge Menschen ermuntern, kreativ zu sein, um die Chancen zu nutzen. Und ja, behalten Sie den Dialog mit der Gesellschaft im Blick. Auch in Zukunft werden immer wieder neue Herausforderungen auf uns zukommen, auf die es in den Betrieben Antworten zu entwickeln gilt. Mir ist an der Akzeptanz der Landwirtschaft und am gesellschaftlichen Dialog sehr gelegen.

Aber wir wissen auch, dass das natürlich die Politik nicht aus der Verantwortung entlässt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Landwirtinnen und Landwirte erfolgreich und auch nachhaltig wirtschaften können.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen auf dem Deutschen Bauerntag viele anregende Diskussionen. Vielen Dank und alles Gute für Sie, auch wenn es in diesem Jahr etwas anders ist als sonst. Ich war schon auf ganz anderen Bauerntagen, auf denen ich mir Mähdrescher und neues landwirtschaftliches Gerät angeguckt habe, auf denen die Emotion auch noch ein bisschen stärker zu spüren war und bei denen die Landfrauen dabei waren. Das ist noch etwas anderes. Ich wünsche mir, dass das auch bald wieder möglich sein wird, genauso wie die realen Ferien auf dem Bauernhof und nicht nur die digitalen.

Herzlichen Dank, Herr Rukwied.

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German Federal Government published this content on 23 June 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 24 June 2021 00:42:06 UTC.