Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich ihre Geldpolitik nach Aussage von Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute Köln, von den finanziellen Bedürfnissen der Euroraum-Regierungen diktieren und stützt sich zudem auf ein überholtes wissenschaftliches Konzept. Bei einer Veranstaltung des European Finance Forum (EFF) sagte Mayer: "Ich sehe den Euro auf dem Weg zur italienischen Lira." Die Lira habe bis zu ihrem Aufgehen im Euro 82 Prozent ihres Werts verloren. "Ich stelle mir etwas Ähnliches für den Euro vor." Der Euro sei ein "genuiner Nachfolger der italienischen Lira".

Mayer, der im Lauf der vergangenen Jahrzehnte außerdem am Institut für Weltwirtschaft (IfW), beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und bei Goldman Sachs gearbeitet hat, wirft der EZB vor, sich auf ein (keynesianisches) wissenschaftliches Paradigma zu stützen, das im Niedergang begriffen sei. "Das ist gut für die, die Staatsanleihen verkaufen wollen", sagte er und fügte hinzu: "Das ist nicht zielführend und muss im wissenschaftlichen Bereich erst niedergekämpft werden." Und das wiederum werde mit personellen Wechseln verbunden sein.

Mayer sieht die Welt - trotz mancher Unterschiede - in der gleich Situation wie während des ersten Ölpreisschocks in den 1970er Jahren: "Viele sagen: Es ist alles anders - aber das ist eine Anmaßung von Wissen." Er erklärt die aktuell hohe Inflation mit der Quantitätstheorie: Wenn die Geldmenge schneller steigt als die Wirtschaftsleistung, dann steigen die Preise - "das ist Volkshochschule Sauerland". Gleiches gilt laut Mayer für den Ölpreis: Wenn die Ölnachfrage steigt, aber das Angebot niedrig bleibt, dann steigt der Preis.

In den 1970er Jahren, als die Gold-Bindung des Dollar aufgehoben wurde, reagierte die US-Notenbank auf zweistellige Inflationsraten, indem sie ihren Leitzins von 5 auf 20 Prozent erhöhte. (Bei der Bundesbank waren es über 7 Prozent.) Die Folge waren zwei Rezessionen, die der neue Fed-Chairman Paul Volcker wissentlich auslöste, nachdem dessen Vorgänger Arthur F. Burns ausgeschieden war. Mayer: "Man hat dieses Fiat-Geldsystem in einem unglaublichen Kraftakt noch einmal gerettet."

Die Frage ist laut Mayer nun: "Wie weit gehen sie jetzt?". Für den Vollgeld-Verfechter ist "der Dollar der Einäugige unter den Blinden", der "Potenzial nach oben" hat. Mayer ist aber nicht überzeugt davon, dass die Fed die USA erneut in eine Rezession stürzen wird. "Die reale Fed Funds Rate (minus 7,67 Prozent) ist brutal negativ, das spricht gegen eine Rezession", sagte er. Dieser Zins sei vor Rezessionen immer positiv gewesen.

Für den Euro sieht Mayer schwarz: "Der Euro ist eine wacklige Sache, die Parität werden wir vielleicht schon am Jahresende sehen." Er wirft der EZB vor, sich der "fiskalischen Dominanz" der Staaten gebeugt zu haben. "Wir haben die Unabhängigkeit der Zentralbank aufgegeben. Sie ist wieder das, was sie mal war: Staatsfinanzierer", befindet er.

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June 14, 2022 06:52 ET (10:52 GMT)