Berlin (Reuters) - Der Energiesektor muss nach dem Willen der Bundesregierung einen besonders großen Beitrag zu den verschärften Klimazielen in Deutschland leisten

Bis 2030 soll der Bereich nun gut ein Drittel mehr CO2 einsparen als bisher geplant, wie aus dem Entwurf des Klimagesetzes hervorgeht, der Reuters am Donnerstag vorlag. Die Industrie muss demnach etwa 15 Prozent mehr sparen, der Verkehrssektor gut zehn Prozent. Dagegen fallen die zusätzlichen Vorgaben für Landwirtschaft und Gebäude mit deutlich unter zehn Prozent geringer aus. Besonders in der Industrie aber auch bei der IG Metall stießen die Vorgaben auf Kritik: Der Verband BDI sprach von "blindem Aktionismus", die Autobranche wetterte gegen den "nationalen Alleingang".

Das Klimagesetz war auch auf Druck des Verfassungsgerichts überarbeitet worden und soll am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Deutschland muss demnach insgesamt bis 2030 nun 65 Prozent Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einsparen. Bisher waren 55 Prozent geplant. Erreicht sind derzeit rund 40 Prozent. Klimaneutralität - also der nahezu völlige Verzicht auf CO2-Ausstoß - ist nun bis 2045 statt bisher 2050 geplant.

Dass der Energiesektor überproportional liefern muss, war erwartet worden. Dort fallen immer noch die meisten Emissionen an. Zum anderen haben die hohen Preise für die Rechte zum CO2-Ausstoß dazu geführt, dass Kohlekraftwerke unwirtschaftlich und schneller abgeschaltet werden. Die auf jedes Jahr scharf gerechneten Sektorziele verleihen dem Gesetz Zähne: Bei Verfehlen der Vorgabe auch nur eines Sektors, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm zum Nachsteuern vorlegen. Dies traf in diesem Jahr den Gebäudebereich, so dass Bauminister Horst Seehofer noch vor der Wahl handeln muss, um wieder auf Kurs zu kommen.

Alle Sektorziele werden im Entwurf jedoch als vorläufig eingestuft, da auf EU-Ebene noch Entscheidungen anstehen, die die Verteilung zwischen den einzelnen Bereichen beeinflussen dürften. Mit diesen Neuregelungen ist aber erst 2022 zu rechnen, so dass sie von der nächsten Regierung umgesetzt werden müssen.

BDI UND AUTOBRANCHE EMPÖRT

Die IG Metall befürchtet direkte Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Autobranche: "Es wird deutlich mehr im Gebälk krachen, was die Beschäftigungsseite angeht", sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Interview mit Reuters. Die verschärften Ziele bedeuteten, dass bis 2030 zwei von drei Neuwagen Elektro- oder Hybridautos sein müssten. "Und jedes Elektroauto mehr ist ein Verbrenner weniger." Eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) ergab, dass bis 2025 über 100.000 Stellen auf dem Spiel stehen könnten. "Der Schwerpunkt des Anpassungsbedarfs kommt relativ schnell", sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. VDA-Präsidentin Hildegard Müller zeigte sich empört: "Mir ist es, ehrlich gesagt, unverständlich, dass quasi über Nacht die Ziele für den Klimaschutz verändert werden sollen", sagte sie. "Gute Gesetzgebung sieht anders aus."[L8N2MT5NW]

Der Industrieverband BDI äußerte sich ebenfalls kritisch: "Die hektische Verschärfung der nationalen Klimaziele erhöht die Unsicherheit für Wirtschaft und Verbraucher", bemängelte BDI-Chef Siegfried Russwurm. "Die Verfügbarkeit CO2-neutraler Energie muss dramatisch gesteigert werden", verlangte er. Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz sei auch effektiver Schutz gegen internationale Wettbewerbsnachteile

Kanzlerin Angela Merkel ging beim internationalen "Petersberger Klimadialog" indirekt auf mögliche Wettbewerbsnachteile ein und forderte weltweit einen Preis auf CO2. "Ich halte eine CO2-Bepreisung für ein besonders geeignetes Instrument der Lenkung. Es bietet sich an, ihn auf weitere Sektoren auszuweiten", sagte die CDU-Politikerin.

BENACHTEILIGUNG JUNGER GENERATION

Das Bundesverfassungsgericht hatte das Klimagesetz von 2019 als unzureichend gerügt und bis Ende 2022 eine Reform verlangt. Die Richter kritisierten, dass nach 2030 keine konkreten Vorgaben mehr auf dem Weg zur vorgesehenen Klimaneutralität 2050 gemacht wurden. Zudem sprachen sie von einer zu hohen Last für die jüngere Generation angesichts der nötigen CO2-Einsparungen in dieser Zeit. Daraus wurde abgeleitet, dass bereits vor 2030 ehrgeizigere Ziele formuliert werden müssen. Dies stand allerdings ohnehin an, da die Europäische Union bereits ihr Klimaziel für 2030 verschärft hat.