Nach dem Strategieschwenk der US-Notenbank erwägt auch die EZB mehr Spielraum beim Ansteuern ihres Inflationsziels.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde verwies am Mittwoch in einer Videoschalte auf einer Finanzkonferenz auf eine laufende Debatte unter Währungshütern. Dabei stelle sich die Frage, ob Zentralbanken sich verpflichten sollten, nach längeren Zeiten mit zu niedriger Inflation danach entsprechend auch einen höheren Preisdruck zu tolerieren. Falls ein solches Konzept "glaubwürdig" umgesetzt werde, könnte die Wirtschaft in einer Phase ultra-niedriger Zinsen besser stabilisiert werden.

Lagarde betonte, ein solches Vorgehen sei eine Prüfung wert. Sie werde jedoch den Ergebnissen des laufenden Strategiechecks nicht vorgreifen: "Jetzt ist die Zeit um zuzuhören und nachzudenken." EZB-Chefvolkswirt Philip Lane betonte, es gebe kein vorab zurechtgelegtes Rezept: "Wir sind noch weitgehend in der Lernphase." Die US-Notenbank Fed hatte nach ihrem jüngsten Strategieschwenk in Aussicht gestellt, die Zinsen so lange nahe Null zu halten, bis die Inflation auf dem Weg sei, "für einige Zeit" das Ziel von zwei Prozent Teuerung "moderat zu übertreffen".

Das vorrangige Ziel der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Im Mittelpunkt steht dabei das Inflationsziel der Währungshüter von knapp unter zwei Prozent, das sie inzwischen seit Jahren verfehlt. Laut dem französischen Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau kann das EZB-Ziel mittelfristig jedoch ähnliche Ergebnisse erbringen wie das neue Konzept der US-Notenbank. Falls es glaubwürdig umgesetzt werde, wirke es ähnlich wie eine Inflationssteuerung nach der im Fachjargon als 'Average Inflation Targeting" bekannten Strategie, sagte er auf der Finanzkonferenz. Er betonte das EZB-Ziel sei "symmetrisch" - also keine Obergrenze. Symmetrie bedeutet aus seiner Sicht, dass die Euro-Notenbank es für einige Zeit zulassen könnte, wenn die Inflationsrate etwas über dem Ziel liegt. Bei früherer Gelegenheit hatte er vorgeschlagen, die Formulierung des Inflationsziels unter die Lupe zu nehmen.

KLIMAWANDEL THEMA FÜR STRATEGIECHECK

Während das neue Konzept der Fed steht, dürfte die EZB erst im zweiten Halbjahr 2021 soweit sein. Neben dem Inflationsziel sollen auch Themen wie der Klimawandel bei der Überprüfung eine wichtige Rolle spielen. Der EZB-Chefvolkswirt betonte, das Thema sei "unmittelbar relevant" für das Kerngeschäft der Notenbank. Villeroy sagte, darin liege auch ein großer Unterschied zu der Strategieüberprüfung jenseits des Atlantiks, die das Thema nicht berücksichtige. Bundesbankpräsident Jens Weidmann verwies mit Blick auf die Strategieüberprüfung darauf, dass die EZB nicht wie die Fed ein doppeltes Mandat aus Preisstabilität und Vollbeschäftigung habe: Deshalb könnten die Fed-Entscheidungen nicht "einfach" auf den Euroraum übertragen werden: "Doch sie könnten unsere eigenen Überlegungen bereichern."